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Internationaler Tag der Sexarbeiter*innen: Viele Pflichten, wenig Schutz

2. Juni 2023
von Maria Hörtner und Katharina Kirchberger

Am heutigen Tag im Jahr 1975 besetzten über 100 Sexarbeiter*innen die Kirche Saint-Nizier in Lyon. Mit diesem mutigen Widerstand protestierten sie gegen die herrschende Diskriminierung und die prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen, die ihr Leben prägten. Bis heute gilt der 2. Juni als Internationaler Tag der Sexarbeiter*innen und steht als Sinnbild für den anhaltenden Kampf um ihre Rechte.

Auch in Österreich fordern Sexarbeiter*innen an diesem Tag ihre Rechte ein. Hier ist Sexarbeit seit den 1980er Jahren legalisiert, aber durch eine Vielzahl regionaler und lokaler Gesetze geregelt, die von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und teilweise extrem restriktiv sind. Ihnen gemein ist jedoch, dass die Regelungen den Sexarbeiter*innen zahlreiche Pflichten auferlegen, ohne ihre Rechte angemessen zu schützen. Gleichzeitig sind Sexarbeiter*innen überproportional oft mit Diskriminierung und anderen Menschenrechtsverletzungen konfrontiert, was ihre Situation weiter verschlimmert.

In der Tat verstärken Gesetze, die Sexarbeit stark reglementieren oder kriminalisieren, die Stigmatisierung von Sexarbeiter*innen. Dies wiederum wirkt sich negativ auf ihre Menschenrechte, vor allem auf ihr Recht auf Gesundheit aus.

Maria Hörtner und Katharina Kirchberger
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Maria Hörtner Soziologin und Beraterin bei LEFÖ

Maria Hörtner ist Soziologin aus Wien und arbeitet bei LEFÖ im Arbeitsbereich Beratung und Gesundheitspräventionsarbeit für Migrantinnen* in der Sexarbeit.

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Katharina Kirchberger Researcherin zu Frauenrechten bei Amnesty International

Katharina Kirchberger ist Juristin und Researcherin beim Amnesty Europe Regional Office zu den Ländern Österreich und Deutschland.

Österreich das einzige EU-Land mit diskriminierender praxis

Österreich ist das einzige Land in der EU, in dem Gesundheitstests für Sexarbeiter*innen immer noch verpflichtend sind. Alle sechs Wochen müssen sie sich Gesundheitsuntersuchungen unterziehen, was nicht nur mit unverhältnismäßig hohem Zeitaufwand und Kosten verbunden ist, sondern auch einen Eingriff in ihre Privatsphäre und körperliche Unversehrtheit darstellt. Der Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (CEDAW Committee) forderte bereits 2013 in seinen Abschließenden Beobachtungen zu Österreich die Abschaffung dieser Praxis.

Staaten die die Frauenrechtskonvention (CEDAW) unterzeichnet haben, müssen akzeptable, verfügbare, qualitativ hochwertige und freiwillige Tests gewährleisten, und über die Möglichkeiten des individuellen und kollektiven Schutzes durch Beratungs-, Unterstützungs- und Betreuungsangebote informieren, idealerweise mit Hilfe von Aufklärungsarbeit durch Sexarbeiter*innen. Österreich hat die Konvention 1982 unterzeichnet und sich dadurch verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die durch die Konvention geschützten Rechte zu achten, schützen und zu erfüllen, einschließlich des Rechts auf Gesundheit. Die Gesundheitsdienste müssen ohne Diskriminierung für alle zugänglich sein, insbesondere für die schwächsten oder am stärksten ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen.

Ebenso diskriminierend für Sexarbeiter*innen ist die behördliche Meldepflicht. Dies ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich geregelt und wird meist bei der Gemeinde vorgenommen, entweder direkt, wie im Burgenland, oder indirekt über die Bordellbetreiber*innen. In Wien besteht eine Meldepflicht bei der Polizei, was Sexarbeiter*innen weiter stigmatisiert und sie in Verbindung mit Kriminalität bringt.

Vor allem für Migrant*innen, die schätzungsweise 80-90% der Sexarbeiter*innen in Österreich ausmachen, stellen solche Meldepflichten eine massive Hürde dar. Nach den Erfahrungen von LEFÖ, einer Organisation, die sich seit mehr als 20 Jahren für die Rechte von Migrant*innen einsetzt, ist die Vermischung von Gesetzen zur Sexarbeit mit Migrations- und Arbeitsgesetzen eine der Hauptursachen für die noch stärkere Marginalisierung von Migrant*innen, die oft bereits durch repressive Polizeiarbeit, Überwachung, Racial Profiling und Kriminalisierung im Kontext der Migration mit Mehrfach- und intersektioneller Diskriminierung konfrontiert sind. Ebenso wird die Vermischung von Menschenhandel und (migrantischer) Sexarbeit oft instrumentalisiert, um die Kriminalisierung von Sexarbeit voranzutreiben, was im Widerspruch zu einem menschenrechtlichen Ansatz basierend auf Rechten von Migrant*innen und Gerechtigkeit für rassistisch Diskriminierte respektiert und gewährleistet.

Untersuchungen von Amnesty International und anderen Organisationen, zum Beispiel in Irland, Norwegen, Argentinien oder der Dominikanischen Republik zeigen ganz klar, wie die Menschenrechte von Sexarbeiter*innen verletzt werden, wenn Sexarbeit durch übermäßig strikte Gesetze reglementiert oder kriminalisiert wird.  

"Nordisches Modell" drängt Sexarbeiter*innen in Illegalität

Dies ist auch in Ländern, in denen es bereits ein Verbot des Kaufs von Sex gibt, dem sogenannten „Nordischen Modell“ der Fall. Es stellt den Kauf von sexuellen Dienstleistungen und die Kunden von Sexarbeitern unter Strafe, mit dem proklamierten Ziel, Sexarbeiter*innen zu schützen und deren Ausbeutung zu beenden. In der Praxis aber bewirkt das Modell das Gegenteil, in dem es Sexarbeiter*innen in die Illegalität drängt. Dies zwingt sie, ihre Sicherheitsstrategien zu ändern oder zu ignorieren. Dadurch müssen sie größere Risiken eingehen, um nicht von der Polizei entdeckt zu werden, z. B. in abgelegenen Gebieten arbeiten oder schnell mit Kunden verhandeln, ohne genügend Zeit zu haben, die Risiken abzuschätzen oder potenziell gefährliche Kund*innen auszusortieren. In Österreich konnten ähnliche Auswirkungen während des faktischen Berufsverbots als Folge der Covid-19-Schutzmaßnahmen beobachtet werden. Bestrebungen, ein Sexkaufverbot auch hierzulande einzuführen sollten daher entschieden zurückgewiesen werden. 

Entkriminalisierung jetzt!

Wir befürworten aus diesen Gründen die Entkriminalisierung von Sexarbeit. Der Schwerpunkt aller Gesetze und Maßnahmen muss auf dem Schutz der Menschechte von Sexarbeiter*innen liegen. Einer der problematischsten Aspekte bei Versuchen, Sexarbeit zu regulieren, ist oft nicht nur deren Inhalt, sondern auch die Art und Weise, wie solche Vorschläge und Gesetze gestaltet werden: ohne Konsultation oder Berücksichtigung der Perspektiven von Sexarbeiter*innen. 

Entkriminalisierung von Sexarbeit bedeutet auch, das Recht auf Selbstbestimmung und Handlungsfähigkeit von Frauen, die den Großteil der Sexarbeiter*innen ausmachen, zu verteidigen. Dieses Recht ist auch durch die Frauenrechtskonvention geschützt. Die Möglichkeit für Betroffene, tatsächlich an Entscheidungsprozessen mitzuwirken, die Auswirkungen auf ihre Rechte haben, ist zudem ein wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Beteiligung an der Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten ohne Diskriminierung, geschützt durch den UN-Zivilpakt. 

Diffamierung, Stigmatisierung und Bedrohung von Sexarbeiter*innen und ihrer Organisationen führt allerdings meist dazu, dass ihre Stimmen von politischen Entscheidungsträgern nur selten gehört, und ihre Bedürfnisse nur selten berücksichtigt werden. Daher fordert Amnesty International, zusammen mit 14 anderen Organisationen als Teil der European Coalition on Sex Workers’ Rights and Inclusion auch auf europäischer Ebene die Entkriminalisierung von Sexarbeit. Insbesondere fordern wir die Mitglieder des Europäischen Parlaments dazu auf, sich für die Rechte von Sexarbeiter*innen einzusetzen. Jegliche Versuche, Sexarbeit im Rahmen der geplanten Direktive zu Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, die derzeit im Europäischen Parlament verhandelt wird, zu kriminalisieren, muss entschieden zurückgewiesen werden.

Im Streben nach echter Gleichberechtigung und Achtung der Menschenrechte aller ist es essenziell, dass die Gesellschaft die Rechte von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern anerkennt und schützt. Dafür ist es unerlässlich, dass ihre Stimmen gehört werden, ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden und ihre Würde geschützt wird.

Maria Hörtner und Katharina Kirchberger

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