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Amnesty deckt Folter und Misshandlung von Aktivist*innen auf

20. November 2018

Mehrere inhaftierte saudi-arabische Menschenrechtsverteidiger*innen – darunter zahlreiche Frauen – sind bei Verhören Folter, sexualisierten Übergriffen und weiteren Formen der Misshandlung ausgesetzt. Das gab Amnesty unter Berufung auf Zeugenaussagen heute bekannt. Die betroffenen Aktivist*innen werden seit Mai 2018 ohne Anklage im westsaudischen Dhahban-Gefängnis willkürlich festgehalten. 

Amnesty International liegen drei unabhängige Zeugenaussagen vor, nach denen die Aktivist*innen wiederholt mit Stromschlägen und Schlägen gefoltert worden seien. Manche von ihnen konnten anschließend kaum mehr gehen oder stehen. In einem Fall soll eine Aktivistin an der Decke aufgehängt worden sein. Eine weitere Aussage besagt, dass eine der festgehaltenen Frauen wiederholt sexualisierten Übergriffen durch Vernehmungsbeamte ausgesetzt worden sei, die Gesichtsmasken trugen. 

Die Behörden berauben die Aktivist*innen nicht nur seit Monaten ihrer Freiheit. Sie setzen sie auch fürchterlichen körperlichen Qualen aus.

Lynn Maalouf, Nahost-Expertin bei Amnesty International

„Sollten sich diese schockierenden Berichte über Folter, sexualisierte Übergriffe und weitere Formen der Misshandlung bestätigen, dann bringen sie nur wenige Wochen nach der brutalen Tötung von Jamal Khashoggi weitere skandalöse Menschenrechtsverletzungen durch die saudischen Behörden ans Licht“, sagte Lynn Maalouf, Nahost-Expertin bei Amnesty International.

„Die saudischen Behörden sind direkt für das Wohlergehen dieser inhaftierten Menschen verantwortlich. Doch stattdessen berauben sie die Aktivist*innen nicht nur seit Monaten ihrer Freiheit, weil sie friedlich ihre Meinung gesagt haben, sondern darüber hinaus setzen sie sie fürchterlichen körperlichen Qualen aus.“ 

Lediglich wegen ihres friedlichen Protests inhaftiert

Den Angaben der Zeug*innen zufolge waren die Menschenrechtsverteidiger*innen nach den Verhören nicht mehr in der Lage, zu gehen oder aufrecht zu stehen. Ihre Hände zitterten unkontrolliert und ihre Körper waren mit Blutergüssen übersät. Außerdem wurde berichtet, dass eine Aktivistin wiederholt versucht habe, sich im Gefängnis das Leben zu nehmen.

Beamt*innen des Dhahban-Gefängnisses hätten die festgehaltenen Aktivist*innen davor gewarnt, ihren Angehörigen von der Folter und anderen im Gefängnis eingesetzten Methoden zu erzählen.

„Die saudischen Behörden müssen die Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich lediglich wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit in Haft befinden, umgehend und bedingungslos freilassen. Außerdem müssen sie sofort eine zielführende und umfassende Untersuchung der Berichte über Folter und andere Misshandlungen einleiten und gewährleisten, dass alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden”, fordert Lynn Maalouf.

In den vergangenen Jahren gab es regelmäßig umfassende Berichte über Folter und andere Misshandlungen in saudi-arabischen Gefängnissen und Haftanstalten. Mit dieser Praxis verstößt das Land gegen seine völkerrechtlichen Verpflichtungen, wie beispielsweise das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe.

"Geständnisse" mit Folter erzwungen

Zahlreiche Inhaftierte berichteten in ihren Gerichtsverfahren, dass ihre „Geständnisse“ mittels Folter erzwungen worden waren oder dass sie wegen ihrer Weigerung, zu „gestehen“ bestraft worden seien. Auch das Versprechen, die Regierung nicht zu kritisieren, sei durch Folter erpresst worden. Solche „Geständnisse“ bilden häufig die Grundlage für harte Strafen, einschließlich der Todesstrafe, ohne dass die Justiz Maßnahmen ergreifen würde, um den Foltervorwürfen auf den Grund zu gehen.

Bei einer Verhaftungswelle im Mai wurden zahlreiche Menschenrechtsverteidiger*innen, darunter viele Frauen, willkürlich inhaftiert. Sie werden nach wie vor ohne Anklage festgehalten und haben keinen Zugang zu einer rechtlichen Vertretung. Einige von ihnen waren nach ihrer Festnahme drei Monate lang an einem unbekannten Ort ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft der saudischen Behörden.

Zu den Gefangenen, die im Dhahban-Gefängnis festgehalten werden, gehören Loujain al-Hathloul, Iman al-Nafjan, Aziza al-Yousef, Samar Badawi, Nassima al-Sada, Mohammad al-Rabe’a und Dr. Ibrahim al-Modeimigh.

Neben diesen wurden in den Folgemonaten noch zahlreiche weitere Aktivist*innen festgenommen. Zu diesen gehören die Feministinnen Nouf Abdulaziz und Maya’a al-Zahran, sowie Aktivist*innen, die bereits in der Vergangenheit wegen ihrer Menschenrechtsarbeit strafrechtlich verfolgt worden waren, beispielsweise Mohammed al-Bajadi oder Khalid al-Omeir. Auch sie befinden sich ohne Anklage weiterhin in Haft. Außerdem wurde berichtet, dass auch die bekannte Feministin und Akademikerin Hatoon al-Fassi kurz nach der Aufhebung des Fahrverbots für Frauen inhaftiert worden sei. Hatoon al-Fassi erhielt letzte Woche die Auszeichnung Academic Freedom Award der Middle East Studies Association, der ihr auf der Jahresversammlung der Organisation in Abwesenheit verliehen wurde. 

Internationale Gemeinschaft muss Druck erhöhen

Lynn Maalouf fordert, dass die internationale Gemeinschaft „konkrete Maßnahmen“ ergreift, um auf Saudi-Arabien Druck auszuüben, „damit alle, die wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte im Gefängnis sind, umgehend und bedingungslos freigelassen werden.“

Berichten von Aktivist*innen zufolge wurden auch nach der Verhaftungswelle im Mai zahlreiche weitere Menschen inhaftiert, die sich für Menschen- und Frauenrechte einsetzen. Doch das harte Vorgehen gegen Andersdenkende hat seine abschreckende Wirkung auf diejenigen, die Meinungsfreiheit im Land fordern, nicht verfehlt: Die bereits zuvor bestehende Angst, über Festnahmen und andere Menschenrechtsverletzungen überhaupt zu sprechen, hat sich noch weiter verfestigt.