
Ägypten: 67 Organisationen fordern Urteilsaufhebung für Ahmed Samir und 6 weitere willkürlich Inhaftierte
8. Februar 2022Gemeinsam mit 66 weiteren unterzeichnenden Organisationen fordert Amnesty International den ägyptischen Präsidenten Abdelfattah Al-Sisi auf, die Urteile gegen sieben willkürlich inhaftierte Menschenrechtsverteidiger, -aktivisten und -politiker unverzüglich aufzuheben. Alle sieben Inhaftierten wurden aufgrund falscher Anschuldigungen zu langen Haftstrafen verurteilt, nur weil sie friedlich ihre Menschenrechte ausgeübt haben. Die Organisationen fordern außerdem das sofortige Ende aller Prozesse vor Notstandsgerichten, bei denen die Verfahren per se unfair sind und die Urteile nicht angefochten werden können.
Am 22. Juni 2021 wurde der Student und Forscher Ahmed Samir Santawy von einem Staatssicherheitsgericht (ESSC, Emergency State Security Court) zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, aufgrund von Beiträgen in sozialen Medien, deren Urheberschaft er bestreitet. Am 17. November 2021 wurden die Journalisten und Politiker Hisham Fouad und Houssam Moanis sowie der Politiker, Rechtsanwalt und ehemalige Parlamentsabgeordnete Zyad El-Elaimy ebenfalls durch das ESSC zu Haftstrafen zwischen vier und fünf Jahren verurteilt, nur weil sie die Menschenrechtslage, die Wirtschaftspolitik und die derzeitigen Lebensbedingungen in Ägypten kritisiert hatten. Kürzlich verurteilte der ESSC den prominenten Aktivisten Alaa Abdel Fattah zu fünf Jahren Haft, den Direktor der NGO Adalah und Menschenrechtsanwalt Mohamed El-Baqer sowie den Blogger und Aktivisten Mohamed Ibrahim Radwan "Oxygen" zu vier Jahren Haft wegen ihrer Beiträge in den sozialen Medien, in denen sie die Menschenrechtslage in Ägypten kritisieren.
Systematisch unfaire Verfahren vor Notstandgerichten gegen kritische Stimmen
In den letzten Jahren haben die ägyptischen Behörden Gesetze eingeführt, die die Unabhängigkeit der Justiz und die Gewährleistung fairer Verfahren untergraben. Sie erheben übermäßig weit gefasste Anklagen, um das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu unterdrücken und, um unabhängige und kritische Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen. In den Monaten vor der Aufhebung des Ausnahmezustands im Oktober 2021 haben die ägyptischen Behörden mindestens zwanzig Aktivist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Oppositionspolitiker*innen vor Notstandsgerichte (ESSCs) gebracht, von denen einige Verfahren noch nicht abgeschlossen sind.
Verfahren vor Notstandsgerichten, die mit der Verhängung des Ausnahmezustands in Gang gesetzt werden, sind von vornherein nicht fair. Das Gesetz, das den Ausnahmezustand regelt, erlaubt es dem Präsidenten, ihre Besetzung vorzugeben, Richter*innen zu ernennen und die Straftaten zu bestimmen, die in ihre Zuständigkeit fallen. Artikel 19 des Gesetzes sieht vor, dass laufende Verfahren fortgesetzt werden, auch wenn der Ausnahmezustand nicht mehr in Kraft ist.
Die Standards für faire Verfahren werden in Verfahren vor den ESSCs routinemäßig missachtet, darunter das Recht auf eine angemessene Verteidigung und das Recht auf eine öffentliche Anhörung. Die Verteidiger*innen wurden daran gehindert, mit ihren Mandant*innen unter vier Augen zu sprechen, und Akten, Anklagen und Urteile zu kopieren.
Präsident kann Urteile umwandeln oder aufheben
Darüber hinaus werden Angeklagten, die vor dem ESSC angeklagt sind, die verschiedenen Instanzen verwehrt, die in anderen Strafverfahren zur Verfügung stehen. Gegen die Urteile des ESSC kann keine Berufung eingelegt werden, sie müssen lediglich vom Präsidenten ratifiziert werden. Nach verschiedenen Bestimmungen des Gesetzes über den Ausnahmezustand ist der Präsident befugt, vor oder nach der Ratifizierung der Urteile, unabhängig davon, ob der Ausnahmezustand in Kraft ist, die Urteile umzuwandeln oder aufzuheben.
Alle oben genannten Aktivisten und Politiker wurden im Zusammenhang mit separaten Fällen, die nicht vor Gericht verhandelt wurden, über längere Zeit in Untersuchungshaft gehalten. Die meisten von ihnen sind seit mehr als zwei Jahren inhaftiert, die nach der ägyptischen Strafprozessordnung zulässige Höchstdauer der Untersuchungshaft. Gegen sie laufen Ermittlungen der Obersten Staatsanwaltschaft (SSSP) wegen ähnlicher, wenn nicht gar identischer Scheinbeschuldigungen, die auf geheimen Ermittlungen der National Security Agency (NSA) beruhen, einer Spezialeinheit der Polizei, zu denen sie und ihre Rechtsbeistände keinen Zugang haben. Die Zeit, die sie in diesen separaten Fällen in Untersuchungshaft verbracht haben, wird nicht auf ihre Strafe angerechnet, was ihre ungerechtfertigte Inhaftierung noch weiter verlängert.
Lasst sie frei!
Misshandlungen und Folter im Gefängnis
Alle genannten Personen sind Misshandlungen ausgesetzt und werden unter Haftbedingungen festgehalten, die gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen verstoßen, was einen Verstoß gegen die ägyptische Verfassung und nationale Gesetze darstellt. Gleichzeitig verletzt Ägypten damit seine Verpflichtungen aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und aus der Antifolterkonvention (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe), denen das Land beigetreten ist.
Ägypten muss willkürlich Inhaftierte sofort freilassen und Entschädigung leisten
Die unterzeichnenden Organisationen fordern Präsident Abdelfattah Al-Sisi auf, die ungerechten Urteile gegen Ahmed Samir Santawy, Hisham Fouad, Houssam Moanis, Zyad El-Elaimy, Alaa Abdel Fattah, Mohamed El-Baqer und Mohamed Ibrahim Radwan "Oxygen" unverzüglich aufzuheben. Die ägyptischen Behörden müssen sie unverzüglich und bedingungslos freilassen, alle Anklagen gegen sie fallen lassen und eine umfassende und angemessene Wiedergutmachung für die willkürliche Freiheitsberaubung und andere erlittene Schäden leisten.
Außerdem fordert Amnesty und die unterzeichnenden Organisationen die ägyptischen Behörden auf, die laufenden Verfahren gegen Menschenrechtsverteidiger*innen und politische Aktivist*innen, deren Fälle vor der Aufhebung des Ausnahmezustands an Notstandsgerichte verwiesen wurden, unverzüglich einzustellen.
Unterzeichnende Organisationen
ACAT BELGIUM
ACAT Germany (Action by Christians for the Abolition of Torture)
ACAT Spain-Catalonia (Action by Christians for the Abolition of Torture)
Al-Karama for Rights and Freedoms
Amnesty International
Asociación Pro Derechos Humanos de España (APDHE)
Association Fanni Raghman Anni
Association for Freedom of Thought and Expression (AFTE)
Association for the promotion of the right to difference
Association Marocaine des Droits Humains
Association UMDPL (Ukraine)
Bahrain Center Aganist Torture (B.CAT)
Center for Reproductive Rights
Center for Social Action Rehabilitation and Rehabilitation for Victims of Torture, War and Violence
Citizen Dancers, South
CIVICUS
CNCD-11.11.11
Committee for Justice (CFJ)
DAMJ, Tunisian Association for Justice and Equality
DefendDefenders (East and Horn of Africa Human Rights Defenders Project)
Egyptian Commission for Rights and Freedoms
Egyptian Front for Human Rights (EFHR)
EuroMed Rights
Forum Méditerranéen pour la mémoire
The Freedom Initiative
Greek Helsinki Monitor
Human Rights Association (IHD)
humanrights.ch
HuMENA for Human Rights and Civic Engagement
International Commission of Jurists
International Federation for Human Rights (FIDH)
International Service for Human Rights (ISHR)
Justice and Rehabilitation Organization
Karapatan Alliance Philippines
Kenya Human Rights Commission
The Libyan Anti-torture Network
Tunisian Association Awladna
Tunisian Association of Democratic Women
Tunisian Organization Against Torture
MENA Rights Group
Mwatana for Human Rights
My Foundation for Human Rights
Network of Civil Society Organizations for the Observation and Monitoring of Elections in Guinea (ROSE)
No Peace Without Justice
Odhikar
PEN International
Project on Middle East Democracy (POMED)
Remembrance and Loyalty Organization
Reporters Without Borders (RSF)
Robert F. Kennedy Human Rights
Safeguard Defenders
Salam for Democracy and Human Rights
Scholars at Risk
A step-by-step organization for the rule of law and human rights
SUARAM, Malaysia
The Tahrir Institute for Middle East Policy (TIMEP)
Tunisian Alliance for Dignity and Rehabilitation
Tunisian Association for the Defense of Individual Liberties
Tunisian League for the Defense of Human Rights
Tunisian Network for Transitional Justice
Tunisian Observatory of Places of Detention
Unit for Protection of Human Rights Defenders - Guatemala
US Committee to End Political Repression in Egypt
Women's International League for Peace and Freedom
World Organisation Against Torture (OMCT)