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3 Jahre Krieg im Jemen: Der vergessene Konflikt

24. März 2018

Waffenlieferungen aus dem Westen führen zu Kriegsverbrechen und unglaublichem Leid

Vor drei Jahren – am 25. März 2015 – begannen die Luftangriffe der Koalition unter Saudi-Arabien gegen die bewaffnete Gruppe der Huthi. Seitdem hat Amnesty International immer wieder von allen Konfliktparteien Kriegsverbrechen dokumentiert.

Auch nach drei Jahren zeichnet sich im bewaffneten Konflikt im Jemen kein Ende ab. Alle Konfliktparteien fügen der Zivilbevölkerung ungeheuerliches Leid zu. Schulen und Krankenhäuser sind zerstört, Tausende sind gestorben und Millionen mussten fliehen und brauchen dringend humanitäre Hilfe.

Lynn Maalouf, Direktorin für den Nahen Osten bei Amnesty International

„Es gibt umfassende Beweise dafür, dass die unverantwortlichen Waffenlieferungen an die von Saudi-Arabien geführte Koalition zu unglaublichem Leid in der jemenitischen Zivilbevölkerung führen. Aber das hat die USA, Großbritannien und andere Länder wie Frankreich, Spanien und Italien nicht davon abgehalten, weiterhin Waffen im Wert von mehreren Millionen US-Dollar zu liefern. Das zerstört nicht nur die Leben von Zivilist*innen, es spricht auch dem internationalen Waffenhandelsabkommen Hohn“, sagt Lynn Maalouf.

Luftangriffe der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition

Am 27. Jänner 2018 zwischen 6 und 8 Uhr morgens traf ein Luftangriff der von Saudi-Arabien geführten Koalition das Haus einer Familie in al Rakab, im südjemenitischen Gouvernement Taiz. Alle sechs der dort lebenden Familienmitglieder wurden verletzt oder getöten. Die Mutter, Roweyda Naji, ihr zehnjähriger und ihr sechsjähriger Sohn starben. Der Vater, Riyad Naji, und sein dreijähriger Sohn wurden von Schrapnellen am Bauch verletzt und die einjährige Tochter trug leichte Verletzungen davon.

Amin Mohamad Naji, ein Verwandter der Familie, traf innerhalb von zehn Minuten nach dem Luftangriff am Haus ein. Er sagte Amnesty International:

Ich habe mitgeholfen, die Verletzten und [Toten] aus den Trümmern zu bergen. Als ich hier ankam, sah ich, dass das Haus zerstört war ... [zwei der] Kinder lagen unter den Trümmern, sie waren tot, und die Frau meines Bruders ist auch gestorben. Mein Bruder Riyad und zwei seiner Kinder wurden schwer verletzt.

aut Zeugenaussagen befand sich das Haus drei Kilometer vom nächsten Militärgebäude entfernt. Zu der Zeit des Angriffs seien keine bewaffneten Truppen dort gewesen. Amnesty International hat ein Video von den Folgen des Luftangriffs analysiert und bestätigt, dass es sich bei der Waffe um eine 500 Pfund schwere lasergelenkte GBU-12-Bombe von Lockheed Martin aus den USA handelte.

Im August 2017 führte die Koalition unter Saudi-Arabien einen nächtlichen Angriff auf ein Wohngebiet im Süden von Sanaa durch, bei dem 16 Zivilist*innen starben und 17 weitere verletzt wurden. Unter den Toten und Verletzten waren hauptsächlich Kinder. Auch in diesem Fall gelang Amnesty International zu dem Schluss, dass eines der Häuser von einer Bombe des US-Herstellers Raytheon getroffen wurde.

Dies sind bei weitem keine Einzelfälle. Seit dem Beginn des bewaffneten Konflikts hat Amnesty International 36 Luftangriffe der Koalition dokumentiert, die gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen. Viele dieser Angriffe könnten als Kriegsverbrechen eingestuft werden. Bei diesen Luftangriffen wurden 379 Zivilist*innen verletzt und 513 starben (darunter 157 Kinder).

Völkerrechtsverletzungen durch die Huthi und anderen Bodentruppen

Die bewaffnete Gruppe der Huthi und deren Gegner verletzen oder töten Zivilist*innen, indem sie wahllos Wohngebiete mit flächendeckend wirkender explosiver Munition beschießen. Vor allem Taiz wurde mit Artilleriegeschossen und Mörsergranaten angegriffen. Die jüngsten Angriffe fanden im Jänner und Februar 2018 statt.

In Sanaa und anderen von den Huthi kontrollierten Gebieten setzen die Huthi und ihre Verbündeten eine Welle willkürlicher Festnahmen und Inhaftierungen mutmaßlichen Gegner fort. Viele Männer und Frauen sind spurlos verschwunden. Andere wurden in unfairen Verfahren zu langen Strafen verurteilt.

Seit Anfang 2018 hat Amnesty International zwei Fälle dokumentiert, in denen insgesamt vier Personen vom Sonderstrafgericht in Sanaa zum Tode verurteilt wurden. Dieses Gericht steht unter der Kontrolle der Huthi. Bei den Verurteilten handelt es sich um Hamid Haydara, der der religiösen Gemeinschaft der Baha’i im Jemen angehört, sowie Asmaa al-Omeissy, Saeed al-Ruwaished und Ahmed Bawazeer, denen vorgeworfen wird, einen feindlichen Staat zu unterstützen. Die Gerichtsverfahren gegen die Angeklagten waren in höchstem Maße unfair. Sie wurden Opfer des Verschwindenlassens, saßen lange Zeit in Untersuchungshaft, wurden gefoltert oder auf andere Weise misshandelt und hatten keinen Zugang zu Rechtsbeiständen.

Da die Huthi diese Verletzungen des Völkerrechts im Rahmen des bewaffneten Konflikts im Jemen begangen haben, könnten sie als Kriegsverbrechen eingestuft werden.

Humanitäre Krise

Im Jemen herrscht nun eine der größten humanitären Krisen der Welt. Mindestens 22,2 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe und es gibt mehr als eine Million Verdachtsfälle von Cholera. Die Krise ist von Menschen verantwortet: Der bewaffnete Konflikt weitet sich aus und verschlechtert die humanitäre Situation. Alle Konfliktparteien behindern die Lieferung humanitärer Hilfeleistungen.

 

Nachdem Huthi-Truppen Ende November rechtswidrig eine Rakete auf Wohngebiete in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad feuerten, verstärkte die Koalition unter Saudi-Arabien rechtswidrig die See- und Luftblockade um den Jemen.

Obwohl die Blockade seither wieder gelockert wurde, schränkt die Koalition noch immer die Lieferung humanitärer Hilfe und den Import gewerblicher Lieferungen wie Nahrungsmittel, Medikamente und Treibstoff ein. Die Koalition erklärt, die Einschränkungen würden das UN-Waffenembargo gegen die Huthi unterstützen, aber tatsächlich verstärken sie nur die humanitäre Krise und tragen zu Verletzungen der Rechte auf Gesundheit und auf angemessenen Wohnstandard bei.

Amnesty International hat von medizinischem Personal erfahren, dass die fehlende Grundversorgung und die Gefahr durch militärische Aktivitäten in der Nähe sie dazu gezwungen haben, viele medizinische Einrichtungen zu schließen und medizinische Hilfsaktionen zu unterbrechen.

„Tausende jemenitische Zivilpersonen müssen zu früh sterben und Millionen weiterer Leben hängen inmitten einer der weltschwersten humanitären Krisen seit Jahrzehnten am seidenen Faden“, sagt Lynn Maalouf.

„Die lange Liste der Völkerrechtsverletzungen zeigt deutlich, dass die internationale Gemeinschaft handeln muss. Die dritte Erklärung des Präsidenten des UN-Sicherheitsrats zum Jemen in der vergangenen Woche war ein Schritt vorwärts, aber wir werden diese Entwicklung ganz genau beobachten, um sicherzugehen, dass sie vor Ort umgesetzt wird.“

Hintergrund

Laut dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte sind nach dem Stand vom Februar 2018 seit dem Beginn des bewaffneten Konflikts im März 2015 mehr als 5.974 Zivilist*innen ums Leben gekommen und mehr als 9.493 Zivilist*innen verletzt worden.

Laut dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) der UN, benötigen mehr als 20 Millionen Menschen – also 80 Prozent der Bevölkerung – humanitäre Hilfe. Vor kurzem veröffentlichte der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge (UNHCR) einen Bericht, laut dem es im Jemen über zwei Millionen Binnenvertriebene gibt. 
Der UN-Menschenrechtsrat hat im September 2017 eine Resolution verabschiedete, in der eine Gruppe von Expert*innen damit beauftragt wurde, die Völkerrechtsverletzungen aller Konfliktparteien im Jemen zu untersuchen und – wo es möglich ist – die Verantwortlichen zu identifizieren.

Am 15. März 2018 nahm der UN-Sicherheitsrat eine Erklärung zur humanitären Situation im Jemen an. Die Erklärung ist ein weiterer Schritt in dem Vorhaben, alle Konfliktparteien des bewaffneten Konflikts für ihre Völkerrechtsverletzungen zur Verantwortung zu ziehen. In der Erklärung wird u. a. der vollständige Zugang für humanitäre Hilfslieferungen und gewerbliche Importe gefordert. Außerdem wird gefordert, dass alle Konfliktparteien sich an ihre Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht halten. Allerdings wurde kein Berichterstattungssystem eingesetzt, das die Umsetzung der Forderungen überwacht.

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