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© Anadolu Agency/Getty Images
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Türkei: COVID-19-Gefahr im Gefängnis

Gewaltlose politische Gefangene in Gefahr

In der Türkei sollen 90.000 Gefangene freigelassen werden, um die Verbreitung von COVID-19 in den überfüllten Gefängnissen einzuschränken. Doch gerade jene Menschen, die sich zu Unrecht in Haft befinden, sind von der Regelung ausgeschlossen.

Am 13. April verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die vorzeitige Freilassung von bis zu 90.000 Gefangenen ermöglichen soll. Das Gesetz schließt jedoch viele Gefangene aus, die für eine vorzeitige Freilassung in Frage kommen sollten.

Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und andere Personen, die nach den Antiterrorgesetzen zu Unrecht inhaftiert sind, nur weil sie ihre Rechte ausüben, sowie Personen, die sich in Untersuchungshaft befinden, sind von den Freilassungen ausgenommen.

Dieser Appell ist abgelaufen. Vielen Dank allen, die sich eingesetzt haben.

 

Hintergrundinformationen

Am 13. April verabschiedete das türkische Parlament das Gesetz zur frühzeitigen bedingten Freilassung von bis zu 90.000 Inhaftierten. Angesichts der schnellen Verbreitung von Covid-19 in den überbelegten und unhygienischen türkischen Gefängnissen ist jede Verringerung der Anzahl von Inhaftierten ein positiver Schritt.

Doch das Gesetz lässt viele Personen außen vor, die ebenfalls für eine frühzeitige Entlassung in Frage kommen sollten und bringt damit Tausende Gefangene und Strafvollzugsbeschäftigte in große Gefahr. Nach offiziellen Angaben sind bislang bereits drei Gefangene gestorben und 17 Gefangene sowie 79 Angestellte in Haftanstalten wurden positiv getestet.

Ausgeschlossen von einer frühzeitigen Freilassung sind im neuen Gesetz Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Rechtsanwält*innen, oppositionelle Politiker*innen, Aktivist*innen und andere, die nur aufgrund der Wahrnehmung ihrer Rechte inhaftiert sind. Es schließt auch Untersuchungshäftlinge von einer Freilassung aus. Die Untersuchungshaft wird in der Türkei routinemäßig und als Strafmaßnahme eingesetzt und verstößt damit gegen die Unschuldsvermutung und das Recht auf Freiheit. Die diskriminierende Natur der jüngsten Gesetzesänderungen macht eine Anfechtung vor dem türkischen Verfassungsgericht wahrscheinlich.

Das Gesetz

Das am 13. April im Parlament verabschiedete Gesetz ist Teil des dritten Reformpakets der im letzten Sommer verkündeten strategischen Justizreform der Regierung. Das bereits ungeduldig erwartete Gesetzespaket wurde am 31. März in das türkische Parlament eingebracht und am 2. und 3. April im Justizausschuss diskutiert.

Das Gesetz ermöglicht es bestimmten verurteilten Strafgefangenen abhängig von ihrer Risikosituation und der Länge ihrer Haftstrafe frühzeitig freigelassen zu werden oder in Hausarrest zu wechseln. Dazu gehören Personen, die über 65 Jahre alt sind, Frauen mit kleinen Kindern und Gefangene mit schweren Erkrankungen. Gefangene, die ihre Strafe im offenen Vollzug verbüßen, kommen ebenfalls für einen zweimonatigen Wechsel in den Hausarrest in Frage und haben die Möglichkeit, den Hausarrest zweimal für weitere zwei Monate zu verlängern. Darüber hinaus können die Haftstrafen verurteilter Strafgefangener auf die Hälfte verkürzt werden.

Ausgenommen sind jedoch alle, die Haftstrafen aufgrund der Antiterrorgesetze oder wegen Verbrechen gegen den Staat, Tötungs- oder Drogendelikten und wegen Sexualstraftaten verbüßen.

Verurteilungen unter dem Antiterrorgesetz

In der Türkei wird die vage formulierte Antiterrorgesetzgebung vielfach dazu genutzt, mit konstruierten Anklagen gegen Journalist*innen, regierungskritische Aktivist*innen, Anwält*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und weitere Personen vorzugehen, die andere Meinungen vertreten als die Regierung.

Amnesty International hat durch zahlreiche Strafprozessbeobachtungen dokumentiert, dass viele Angeklagte lange in Untersuchungshaft festgehalten und viele von ihnen wegen Verbrechen im Zusammenhang mit Terrorismus schuldig gesprochen werden, nur weil sie eigene Meinungen vertreten und ohne jeden Beweis, dass sie Gewalt geschürt oder ausgeübt oder verbotene Organisationen unterstützt haben.

Zu ihnen zählen der bekannte Journalist und Schriftsteller Ahmet Altan, der kurdische Politiker Selahattin Demirtaş und der Geschäftsmann und zivilgesellschaftlich weithin bekannte Osman Kavala sowie viele weitere Akademiker*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen. Selahattin Demirtaş leidet im Gefängnis unter bereits dokumentierten Herzproblemen und sowohl Ahmet Altan als auch Osman Kavala sind über 60 Jahre alt und gehören damit zu den Risikogruppen von Covid-19.

Alle diese Personen sollten ohnehin nicht inhaftiert sein. Sie von einer möglichen Freilassung auszuschließen, würde den Menschenrechtsverletzungen, die sie bereits erleben, noch eine weitere hinzufügen.

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