Sie leben in einer Diktatur. Diejenigen, die im Exil leben, befinden sich in einer anderen Situation. In gewisser Weise ist es für sie einfacher, weil sie sagen können, was die Menschen in Belarus nicht sagen können.“
Solidarität mit der Ukraine
Unterdessen hat der Krieg in der Ukraine einen langen Schatten auf Belarus geworfen. Während Lukaschenko den russischen Präsidenten Putin unterstützt, zeigten sich viele Belarus*innen solidarisch mit der Ukraine.
Nach der russischen Invasion in die Ukraine kam es in Belarus zu Demonstrationen gegen den Krieg. Inzwischen kämpft sogar eine unabhängige Division belarussischer Soldat*innen an der Seite der ukrainischen Armee.
Doch die Repressionen hielten an: Mindestens 2.600 Menschen wurden verhaftet und bestraft, weil sie sich mit der Ukraine solidarisch zeigten. So wurde beispielsweise vergangenes Jahr eine Frau verurteilt, nachdem sie in einem Café in Minsk ein ukrainisches Lied sang.
„Das Regime spricht offen davon, dass jetzt Säuberungen im Land stattfinden – genau wie zu stalinistischen Zeiten“, sagt Olga Shparaga, belarussische Philosophin und Mitbegründerin der feministischen Gruppe im Koordinierungsrat.
Fragiler Widerstand
Soziale Medien haben sich zu einem wichtigen Instrument entwickelt, um die staatliche Propaganda in Belarus zu umgehen. Vor allem Belarus*innen im Exil veranstalten regelmäßig Online-Diskussionen und bieten politischen Aktivist*innen eine Plattform.
Der Zugriff auf diese Informationen hinterlässt Spuren, die Nutzer*innen in Gefahr bringen. Alle Inhalte, die mit unabhängigen Medien oder der Opposition in Verbindung gebracht werden können, werden als „extremistisch“ eingestuft – ob Fotos, Websites oder Telegram Kanäle. Im heutigen Belarus können Menschen für den Zugriff auf diese Inhalte für mehrere Jahre im Gefängnis landen.
Trotz dieser Risiken suchen Menschen in Belarus weiterhin nach unabhängigen Informationen, erklärt Shparaga: „Das ist immer noch ein Beweis dafür, dass die Menschen gegen Lukaschenko sind.“
Sie beschreibt die aktuelle Situation mit dem Konzept der „weak resistance“ (fragiler Widerstand), einer Form des Protests, die oft im Verborgenen stattfindet.
Dieser Widerstand ist breit angelegt und äußert sich in vereinzelten Protestformen oder symbolischen Gesten, wie dem verdeckten Tragen von Kleidung oder Accessoires in den Farben der belarussischen Unabhängigkeitsflagge (weiß und rot) oder dem Boykott von Wahlen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der Gemeinschaftssinn. Besonders auffällig bei den Protesten von 2020 war, dass nicht nur etablierte Persönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft eine führende Rolle spielten, sondern auch eine große Anzahl von Menschen, die bisher nicht politisch aktiv waren.
Dadurch entstanden neue Formen der Vernetzung, die es den Menschen ermöglichten, sich gegenseitig zu unterstützen. Das damit verbundene Bewusstsein für Gemeinschaft und Solidarität ist auch heute noch spürbar, so Shparaga:
„Die Offenheit und Hilfsbereitschaft der Menschen war das eigentliche Wunder, und diese Dynamik hat sich bis heute fortgesetzt. Diese Verbindungen zwischen den Menschen werden weiterhin Bestand haben und die Grundlage für eine andauernde Veränderung bilden. Lukaschenko hat genau davor Angst.“
Trotz der Unterdrückung durch die Regierung haben viele Menschen weiterhin die Hoffnung auf Veränderung, berichtet Olga Shparaga: „Sie warten darauf, den Moment zu ergreifen und sich wieder auf die Straße zu begeben, um für ihre Rechte und eine freie Zukunft zu kämpfen.“
Text: Antonio Prokscha