Eine weitere Herausforderung ist der Status der Nicht-Staatsbürgerschaft, was besonders in städtischen Gebieten weit verbreitet ist. In Wien ist fast jede zweite Person unter 30 Jahren nicht wahlberechtigt. Dies kann zu einem Gefühl der Nicht-Beteiligung und Entmachtung führen. So eine demografische Diskrepanz gibt Anlass zur Sorge. Insbesondere wenn man bedenkt, dass eine beträchtliche Anzahl von Nicht-Staatsbürgern dennoch von politischen Entscheidungen betroffen ist.
Was das langfristig macht, ist noch unklar. Bei jungen Menschen in Wien ist es tatsächlich mittlerweile eine Größenordnung, die demokratiepolitisch nicht mehr egal sein kann.
Wie beeinflussen die aktuell vorherrschenden Themen die Wahlen?
Die Themen, die im politischen Diskurs dominieren, werden oft von aktuellen Krisen geprägt. Während Themen wie Arbeitsbedingungen und Steuern ständig präsent sind, können andere Themen wie die COVID-19-Pandemie oder der Klimawandel je nach den aktuellen Ereignissen an Bedeutung gewinnen oder abnehmen. Die Frage der Zuwanderung ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt, der die öffentliche Meinung und die Wahlentscheidungen beeinflussen kann.
Interessanterweise gibt es paradoxe Beobachtungen in Bezug auf bestimmte Themen. Bei der Frage nach aktuellen Sorgen nennen Menschen oft Themen, die emotional aufgeladen sind, wie steigende Kosten oder Einwanderung. Wenn die Befragten jedoch zwischen vorgegebenen Themen wählen, rangiert Einwanderung nicht so stark wie beispielsweise Gesundheit oder Bildung.
Auch Skandale spielen eine wichtige Rolle bei der Mobilisierung oder Demobilisierung von Wählern. Insbesondere Korruption führt zu einem Verlust an Vertrauen in die politischen Parteien und fördert den Glauben, dass alle gleichermaßen korrupt sind. Versuche der Parteien, Wähler zu mobilisieren, indem sie ihren Gegnern Korruption vorwerfen, gehen oft nach hinten los. Dies erhöht eher die allgemeine Frustration gegenüber der Politik und kann Wähler abschrecken.
Welche Maßnahmen sollte die Politik ergreifen, um ein tieferes Verständnis von Demokratie zu fördern?
Bildung, insbesondere in Schulen, birgt ein immenses Potenzial, um demokratische Werte zu vermitteln. Die Einbeziehung einer politischen Bildung in die Lehrpläne fördert, dass Schüler, unabhängig von ihrem Hintergrund, ein differenziertes Bild der demokratischen Grundsätze erhalten. Es ist wichtig, diese Bildung greifbar und ansprechend zu gestalten und über theoretische Diskussionen hinaus praktische Erfahrungen einzubeziehen. Initiativen wie Jugendparlamente, in denen junge Menschen aktiv an Entscheidungsprozessen teilnehmen, die Auswirkungen haben, sind in diesem Zusammenhang sehr hilfreich.
Darüber hinaus liegt es in der Verantwortung der Politik, auf die Bevölkerung zuzugehen. Lernen von Demokratie heißt, dass man es auch tatsächlich lebt. Politiker sollten ihr Engagement für die Demokratie durch eine integrative Gestaltung der Politik oder Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung fördern.
Gelingt dies nicht, wie es teils auch während der Pandemie der Fall war, kann dies zu Verdrossenheit unter Bürgern führen, die sich übersehen und ausgegrenzt fühlen. Wir müssen den Eindruck vermeiden, dass Entscheidungen hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Transparenz ist dafür entscheidend.
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Interview: Antonio Prokscha