Aus dem Amnesty Magazin, Ausgabe November 2023
Text von Theresa Lachner
Gewalt in Paarbeziehungen ist in Österreich trauriger Alltag. Ein Text über die falsche Romantisierung von Gewalt und das Erkennen von Grenzen.
„Darf ich dir wehtun?“ Lisa, Ende 20, schüttelt fassungslos den Kopf über diesen Gesprächseinstieg auf Tinder. „Wenigstens hat er gefragt“, scherze ich, als sie mir davon erzählt, aber klar, eigentlich gibt es da überhaupt nichts zu lachen.
Vor allem nicht, wenn man die Zahlen kennt: jede dritte Frau in Österreich hat schon körperliche und/oder sexualisierte Gewalt erlebt. Alle elf Minuten wird weltweit eine Frau ermordet, davon etwa drei pro Monat in Österreich.
In meiner Arbeit als Journalistin, systemische Sexualberaterin und Referentin für sexualisierte Gewalt in Paarbeziehungen werde ich tagtäglich mit diesem düsteren Thema konfrontiert.
Fast jede Frau, mit der ich spreche, berichtet von mindestens so beunruhigenden Erfahrungen wie Lisa – und wer einmal anfängt, darauf zu achten, sieht die Warnsignale natürlich überall: anfänglich aggressives Werben um eine andere Person, sehr schnell sehr viel Intensität mit Liebesbekundungen und übertriebenen Geschenken, gefolgt von Eifersucht, sozialer Isolation, finanzieller und psychischer Abhängigkeit, Gaslighting und Manipulation, abwertenden Kommentaren und Drohungen, die dann auch zu körperlichen Übergriffen führen können.
Dieses Phänomen einer eskalierenden Gewaltdynamik nennt sich „Gewaltzyklus“ oder „Gewaltspirale“. Weil es eben nicht nur um einzelne Ereignisse geht, sondern um ein komplexes Verhaltensmuster, das sich immer mehr zuspitzt und die Opfer zusehends verwirrt. Dazwischen gibt es natürlich auch gute Momente, wie Beteuerungen des Täters, sich zu ändern oder übertriebene Geschenke – doch folgt meist die nächste Gewalthandlung.
Als ich eine Beratungsklientin im Videotelefonat frage, ob ihr Partner ihr nach Übergriffen zur Entschuldigung Blumen schenkt, dreht sie einfach den Bildschirm – hinter ihr im Raum stehen vier große Bouquets.
Im Durchschnitt erlebt eine Frau in einer körperlich gewalttätigen Beziehung pro Jahr bis zu 69 Angriffe auf Leib und Leben. Sie braucht im Schnitt sieben Jahre, bis sie nach Hilfe sucht. Und sieben Anläufe, sich wirklich endgültig zu trennen. Das ist auch der Moment, in dem die Gefahr, durch den Expartner ermordet zu werden, am größten ist.
Am gefährdetsten sind Frauen zwischen dreißig und fünfzig Jahren, unabhängig von ihrer sozialen Schicht. Kurz nach der Hochzeit, während der Schwangerschaft, solange das Kind unter einem Jahr alt ist, Karriereschritte, die der Mann nicht gleichzeitig vollzieht, Trennungsversuche – das sind Situationen, in denen Frauen Gewalt statistisch gesehen besonders befürchten müssen. Alkohol, Drogen, Stress, finanzielle Probleme, Ansehensverluste, ja sogar eine Niederlage der eigenen Lieblingsfußballmannschaft können die Gewalt durch Männer zusätzlich begünstigen.