Sie ist per Video aus ihrer Wohnung in England zugeschaltet. Ein kantig geschnittener Stirnpony rahmt ihr Gesicht, ihre Stimme klingt sanft und britisch-nasal. „Ich wollte dem Feind ein Gesicht geben können und zumindest versuchen, ihn als Menschen zu sehen und seine Beweggründe zu verstehen. Meiner Familie habe ich nichts davon erzählt, es war mein persönlicher Umgang mit dem Trauma, das ich erlebt hatte.“
Das Attentat hatte Jo Berry mit 28 Jahren zur Halbwaise gemacht, doch beschloss sie, an diesem schmerzhaften Erlebnis zu wachsen. Sie fühlte sich der Friedensbewegung zugehörig, identifizierte sich mit Mahatma Gandhis Idee der Gewaltfreiheit und wollte sich den Krieg der anderen nicht aufzwingen lassen. In den Folgejahren reiste Berry immer wieder nach Belfast und sprach mit Menschen auf beiden Seiten: protestantischen Unionist*innen und katholischen Republikaner*innen. Sie traf Überlebende und IRA-Unterstützer*innen. Die denkwürdigste Begegnung war die mit Patrick Magee. Jo Berrys Offenheit und Empathie machten auf ihn einen derart starken Eindruck, dass er irgendwann seine Ausführungen über den bewaffneten Kampf der unterdrückten Nordiren unterbrach, sich die Augen wischte und sagte: „Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Ich möchte deinen Schmerz hören, deinen Zorn. Ich möchte helfen.“
Drei Stunden dauerte das Gespräch. Seither haben sich Jo Berry und Patrick Magee mehr als 300 Mal getroffen, inzwischen sind sie sogar befreundet. „Ich mag und schätze sie sehr“, sagt Patrick Magee über die Britin. „Er ist mir wichtig“, sagt sie über ihn. Die Geschichte ihrer Versöhnung und den Weg dorthin haben die beiden in den vergangenen Jahren bei vielen Gelegenheiten erzählt – in Stadthallen, Vortragssälen und Schulen. Von Belfast bis Tel Aviv, von London bis Kigali treten sie als Botschafter*innen für Frieden und Versöhnung auf. Als Jo Berry 2009 mit Building Bridges for Peace ihre eigene Friedensinitiative gründete, war Patrick Magee ihr erster Gast.