Zwei Monate nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine liegt auf einem Hügel in Kyiw, nahe dem Fluss Dnipro, ein abgetrennter Kopf. Er war Teil einer acht Meter hohen Bronzefigur, die einen ukrainischen und einen russischen Arbeiter darstellte, die gemeinsam einen sowjetischen Freundschaftsorden in die Höhe hielten. Die Statue stand unter dem imposanten „Bogen der Völkerfreundschaft“, der 1982 zum 60. Jahrestag der Sowjetunion eingeweiht wurde.
Kyiws Bürgermeister Vitali Klitschko steht neben dem abgeschlagenen Kopf und spricht in die Mikrofone der anwesenden Journalist*innen: „Man tötet seinen Bruder nicht. Man vergewaltigt nicht seine Schwester. Man zerstört nicht das Land seines Freundes. Deshalb haben wir heute dieses Denkmal abgebaut, das einst als Zeichen der Freundschaft zwischen der Ukraine und Russland errichtet wurde.“ Weiter erklärt Klitschko, der Titanbogen bleibe bestehen, werde aber in „Bogen der Freiheit des ukrainischen Volkes“ umbenannt.
Daraufhin hebt ein Kran die gesamte Statue aus seiner Verankerung. Als sie allmählich auf den Boden absenkt, jubelt eine Menschenmenge „Slavyi Ukraini“ – Ruhm der Ukraine.
Die Aktion ist Teil einer Entwicklung, die seit einigen Jahren in der Ukraine zu beobachten ist: Das sowjetische Erbe wird abgebaut, um Platz für eine neue, unabhängige Identität zu schaffen. Die Zerstörung sowjetischer Denkmäler und die Umbenennung von Straßen wurden Teil der politischen PR. Was einst die sowjetische Einheit verherrlichte, steht heute für den Kampf der Ukraine, sich von einer Vergangenheit der russischen Vorherrschaft zu lösen.
Sowjetische Symbole und ukrainische Identität
Bereits während der Maidan-Proteste 2013 war die Zerstörung der Lenin-Statue auf dem zentralen Platz von Kyiw ein Schlüsselmoment. Ein Jahr später, nach der russischen Annexion der Krim, verabschiedete das ukrainische Parlament Gesetze zur „Entkommunisierung“, um Straßennamen zu ändern und sowjetische Denkmäler zu entfernen. Die russische Invasion 2022 verlieh diesem Vorhaben eine neue Dringlichkeit.
Währenddessen betreibt die russische Regierung in den von ihr besetzten ukrainischen Gebieten das Gegenteil, indem sie Statuen und Symbole aus der Sowjetzeit restauriert. Russische Soldat*innen zerstören zudem Gedenkstätten, die an die sowjetischen Verbrechen erinnern, wie beispielsweise das Holodomor-Denkmal in Mariupol, das an die Millionen Ukrainer*innen erinnert, die in der von Stalin inszenierten Hungersnot ums Leben kamen. All das macht deutlich: Die Ukraine kämpft nicht nur um territoriale Souveränität, sondern auch um die Deutungshoheit über ihre Geschichte.