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Irland: Sexkaufverbot gefährdet die Sicherheit von Sexarbeiter*innen

25. Jänner 2022

2017 kriminalisierte Irland den Kauf von sexuellen Dienstleistungen. Statt Sexarbeiter*innen vor Menschenhandel und Ausbeutung zu schützen, erleichtert das Gesetz jedoch die gezielte Verfolgung und den Missbrauch von Sexarbeiter*innen. Das zeigt ein neuer Bericht von Amnesty International.

 

Wer einen Menschen für Sex bezahlt, wird in Irland bestraft. So steht es seit 2017 im irischen Gesetz über Sexualdelikte. Das Gesetz erhöhte zudem die Strafen für das Führen von Bordellen: Wenn zwei oder mehr Sexarbeiter*innen in denselben Räumlichkeiten sexuelle Dienstleistungen anbieten, drohen Geldstrafen von 5000 Euro oder bis zu zwölf Monate Gefängnis.

Das Sexkaufverbot sollte eigentlich Sexarbeiter*innen schützen. Leider ist das Gegenteil der Fall. Der neue Bericht «We live within a violent system: Structural violence against sex workers In Ireland» zeigt, wie die Kriminalisierung einzelner Aspekte der Sexarbeit die Sicherheit von Sexarbeiter*innen und auch ihr Leben gefährden.

«Gesetze, die Sexarbeiter*innen schützen sollen, setzen sie einem höheren Risiko von Missbrauch und Gewalt aus, darunter Vergewaltigung und körperliche Angriffe. Dies berichten uns Sexarbeiter*innen über die tatsächlichen Auswirkungen des Gesetzes von 2017. Die irische Regierung muss anfangen, ihnen zuzuhören», sagte Colm O‘Gorman, geschäftsführender Direktor von Amnesty International Irland. Insgesamt interviewte Amnesty International zwischen Dezember 2020 und April 2021 30 Sexarbeiter*innen.

«Unsere Recherchen zeigen eindeutig, dass die Kriminalisierung des Kaufs sexueller Dienstleistungen Sexarbeiter*innen dazu zwingt, mehr Risiken einzugehen. Ausserdem verhindert die Bestrafung des Bordellbetriebs, dass Sexarbeiter*innen zur Gewährleistung ihrer Sicherheit zusammenarbeiten», sagte Colm O’Gorman.

Die Mehrheit der befragten Sexarbeiter*innen wünscht sich eine vollständige Entkriminalisierung der Sexarbeit in Irland, einschliesslich des Kaufs von sexuellen Dienstleistungen. Sie sagten auch, dass die gemeinsame Nutzung von Räumlichkeiten mit anderen Sexarbeiter*innen zu ihrer Sicherheit beiträgt und das Risiko von Gewalt verringert. Eine Sexarbeiterin berichtete Amnesty International: «Als Frau allein mit einem Mann, da haben wir keine Chance. Es muss eine Zweite vor Ort sein. Sie kann hören, was vor sich geht...»

 

Angst vor der Polizei 

Der Bericht zeigt auch, dass das mangelnde Vertrauen in die Polizei und die durch das Strafrecht verstärkte soziale Stigmatisierung die Sexarbeit erschweren.  

Die überwältigende Mehrheit der befragten Sexarbeiter*innen berichtete, dass sie während ihrer Tätigkeit Gewalt erfahren haben. Nur die wenigsten wendeten sich an die Polizei – aus Angst. Viele Sexarbeiter*innen sagten, sie misstrauten der Polizei, welche sowieso keine Massnahmen ergreifen würden. Darüber hinaus äusserten Sexarbeiter*innen die Sorge, von der Polizei belästigt zu werden oder Gewalt zu erfahren. Und sie befürchteten, dass ihre Vermieter*innen benachrichtigt oder ins Visier genommen würden, was zu Zwangsräumung und Obdachlosigkeit führen könnte.

Eine Sexarbeiterin sagte Amnesty International: «Ich sehe die Gardaí (die irische Polizei) eher als Bedrohung denn als Schutzschild.» Eine weitere Sexarbeiterin sagte: «Sexarbeit muss vollständig entkriminalisiert werden. Wenn das nicht so ist, habe ich Angst, mich bei der Polizei oder anderen zu melden. In jedem anderen Geschäft kannst du die Polizei rufen, wenn dir etwas passiert. Es geht doch darum, ein sichereres Umfeld für uns zu schaffen.»
Ausländische Sexarbeiter*innen fürchten, sich an die Polizei zu wenden, wegen der Risiken, die das aufgrund ihres Einwanderungsstatus oder ihrer Absicht, die irische Staatsbürgerschaft zu beantragen, mit sich bringt. Eine Sexarbeiterin aus dem Ausland berichtete Amnesty International: «Ich würde nur dann die Polizei rufen, wenn ich sterbend am Boden läge. Ich persönlich würde mich lieber mit einem Kunden in Gefahr begeben als mit einem Polizisten.»  

Der Bericht macht deutlich, dass es an Daten über die Erfahrungen von Sexarbeiter*innen mangelt und dass die Regierung sich auf veraltete und fehlerhafte Untersuchungen stützt, die Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung mit Sexarbeit in einen Topf werfen. Ausserdem merkt Amnesty International an, dass der Staat es versäumt hat, Sexarbeiter*innen bei der Ausarbeitung des Gesetzes von 2017 ausreichend zu konsultieren. Eine von Amnesty International im Dezember 2021 durchgeführte Umfrage ergab, dass 70 Prozent der Menschen in Irland der Meinung sind, dass Sexarbeiter*innen zu allen Gesetzen, die sie direkt betreffen, konsultiert werden sollten. 73 Prozent vertraten die Ansicht, dass Sexarbeiter*innen ein Recht darauf haben, Entscheidungen über ihr Leben und ihren Körper selbst zu treffen.  

Die irische Regierung führt derzeit eine Überprüfung des Gesetzes über Sexualdelikte von 2017 durch. Dieses Mal wollen die Sexarbeiter*innen angehört werden.

«Die Überarbeitung des Gesetzes ist eine einmalige Gelegenheit, um sicherzustellen, dass es Sexarbeiter*innen tatsächlich schützt», sagte Colm O'Gorman. «Die Sexarbeiter*innen müssen sinnvoll konsultiert werden, damit ihre Erfahrungen in die Gesetze und Massnahmen einfliessen können, die sie schützen sollen.»

Unsere Recherchen zeigen eindeutig, dass die Kriminalisierung des Kaufs sexueller Dienstleistungen Sexarbeiter*innen dazu zwingt, mehr Risiken einzugehen.

Colm O’Gorman, Direktor von Amnesty International Irland