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Influencerinnen wegen "Unsittlichkeit" in Haft

15. Juli 2021

Die Social-Media-Influencerinnen Hanin Hossam und Mawada el-Adham wurden am 20. Juni vom Kairoer Strafgericht zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Neben weiteren Straftaten wird ihnen vorgeworfen, andere junge Frauen dazu angestiftet zu haben, "unanständige" Online-Inhalte zu verbreiten. Amnesty International ist der Ansicht, dass die jungen Frauen für die Art und Weise bestraft werden, wie sie tanzen, reden und sich kleiden und weil sie versuchen, in den Sozialen Medien "Einfluss" auf die Öffentlichkeit zu nehmen, und fordert ihre sofortige Freilassung.

fordere ihre Freilassung

Die Social-Media-Influencerinnen Hanin Hossam und Mawada el-Adham wurden am 20. Juni vom Kairoer Strafgericht zu langen Haft- und Geldstrafen verurteilt. Ihnen werden unter anderem kommerzielle Ausbeutung und Menschenhandel vorgeworfen. Sie hätten junge Frauen dazu angestiftet, "unanständige" Inhalte in den Sozialen Medien zu verbreiten, um Geld zu verdienen. Ihre strafrechtliche Verfolgung findet vor dem Hintergrund des harten Vorgehens der Behörden gegen die Meinungsfreiheit von Frauen in Ägypten statt. Dabei wird auch versucht, das Verhalten von Frauen im Internet zu kontrollieren.

Die Anklage wegen Menschenhandels bezieht sich auf Videos, die die Frauen online gepostet hatten. In dem Instagram-Video, das zu ihrer Verurteilung führte, ermutigte Hanin Hossam, die über eine Million Follower*innen auf TikTok hat, Frauen über 18 Jahren, Videos von sich selbst auf der Anwendung "Likee" zu posten, da diese auf Basis der Anzahl der Aufrufe vergütet werden. Mawada el-Adham, die über drei Millionen Follower*innen auf TikTok hat, wurde aufgrund von TikTok-Videos schuldig gesprochen, die zeigen, wie sie mit einem sechsjährigen Mädchen tanzt und sie scherzhaft fragt, ob sie schon Dates hat. Vor Gericht stellten die Eltern des Mädchens in Frage, dass sie ihre Zustimmung zur Veröffentlichung der Videos gegeben hatten. Amnesty International überprüfte die Videos und fand keine einschlägigen Belege, die die beiden Frauen mit Handlungen in Verbindung bringen würden, die einen Menschenhandel im Sinne des UN-Zusatzprotokolls zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels darstellten.

Während der Urteilsverkündung brachte der vorsitzende Richter offen seine Voreingenommenheit und Feindseligkeit gegenüber den Frauen zum Ausdruck. Er beschuldigte sie, die Moral der Nation zu beflecken und warnte davor, Soziale Medien zu nutzen, um Ägyptens Werte zu untergraben. Bis heute haben die Rechtsbeistände der Frauen keine schriftliche Urteilsbegründung erhalten. Hanin Hossam, die in Abwesenheit zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, nahmen die Behörden am 22. Juni erneut fest. Sie wartet nun auf ein weiteres Verfahren. Mawada el-Adham hat gegen ihre sechsjährige Haftstrafe Rechtsmittel eingelegt. Beide sind derzeit im al-Qanater-Gefängnis für Frauen inhaftiert.

hintergrund

Seit April 2020 haben die Behörden ihr hartes Vorgehen gegen Social-Media-Influencerinnen verschärft. Dies ist offensichtlich ein Versuch, das Internet zu kontrollieren, indem weibliche Körper und das Verhalten von Frauen überwacht und das Bestreiten eines unabhängigen Lebensunterhalts untergraben wird. Seitdem haben die ägyptischen Behörden zehn TikTok-Influencerinnen festgenommen und strafrechtlich verfolgt, weil sie gegen das drakonische Gesetz gegen Cyberkriminalität und andere sehr vage gesetzliche Bestimmungen in Bezug auf "Anstand" und "Anstiftung zur Unmoral" verstoßen haben sollen. Die Angeklagten haben alle eine große Fangemeinde in den Sozialen Medien, die von Hunderttausenden bis zu mehreren Millionen reicht. Neun der zehn Frauen wurden zu Haftstrafen zwischen zwei und sechs Jahren und zu hohen Geldstrafen verurteilt. Die Festnahme der zehn Frauen erfolgte nach Beschwerden von hauptsächlich männlichen Online-Autoren, die angeblich über das Verhalten der Frauen empört waren, sowie nach Ermittlungen des Amts für Moral, das dem Innenministerium untersteht. Laut Hanin Hossams polizeilichem Ermittlungsbericht, der von Amnesty International eingesehen wurde, besteht die Aufgabe des Amts darin, "diejenigen strafrechtlich zu verfolgen, die Online-Anwendungen und Websites nutzen, um Inhalte zu veröffentlichen, die Bürger, insbesondere junge Menschen, zu Handlungen anstiften, die gegen Sitten und Gebräuche verstoßen, oder um Ideen und Handlungen der Unsittlichkeit und Ausschweifung in der Gesellschaft zu verbreiten." Am 29. April 2020, kurz nach der Festnahme von Hanin Hossam, gab die Staatsanwaltschaft eine Erklärung heraus, in der sie ihre "Verpflichtung" bekräftigte, "weiterhin schändliche Verbrechen zu bekämpfen, die die Prinzipien und Werte unserer Gesellschaft verletzen." Am 2. Mai warnte die Behörde erneut, dass Ägypten die "neuen Grenzen im Internet" schützen werde, die "von den Kräften des Bösen bedroht" würden.

Die Behörden nahmen Hanin Hossam am 21. April 2020 und Mawada el-Adham am 14. Mai 2020 fest und stellten sie unter den Vorwürfen der "Verletzung der familiären Prinzipien und Werte" und der Anstiftung zu "Unanständigkeit" und "Ausschweifung" vor Gericht. Am 27. Juli 2020 wurden sie von einem Kairoer Wirtschaftsgericht für Ordnungswidrigkeiten schuldig gesprochen und zu je zwei Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 300.000 Ägyptischen Pfund (über 16.000 Euro) verurteilt. Am 12. Januar 2021 sprach ein Berufungsgericht Hanin Hossam aus Mangel an Beweisen frei und wandelte die Strafe von Mawada el-Adham in eine Geldstrafe um. Die Staatsanwaltschaft erhob jedoch in einem weiteren Fall Anklage gegen sie, darunter wegen Menschenhandels, und verwies den Fall an das Strafgericht. Hanin Hossam wurde am 2. Februar 2021 gegen Kaution freigelassen, aber am 22. Juni 2021 erneut festgenommen. Mawada el-Adham befindet sich seit ihrer Festnahme in Untersuchungshaft. Beide sind derzeit im al-Qanater-Gefängnis für Frauen inhaftiert.

Nach dem Urteil des Kairoer Strafgerichts am 20. Juni zeigte sich Hanin Hossam in einem Video auf Instagram. Darin drückt sie ihren Schock über die lange Haftstrafe aus und appelliert an den Präsidenten: "Was habe ich getan? 10 Jahre! Seit ich (nach neun Monaten Untersuchungshaft) freigelassen wurde, habe ich mich nicht geäußert oder beschwert oder gesagt, dass ich zu Unrecht inhaftiert wurde oder gelitten habe (...) Warum wollen Sie mich wieder ins Gefängnis bringen?". Sie drückte auch ihre Verwirrung darüber aus, dass sie für ihre Bewerbung der "Likee"-Anwendung bestraft wurde, da diese in Ägypten legal sei.

Drei Männer wurden im Zusammenhang mit demselben Fall zu sechs Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von jeweils 200.000 Ägyptischen Pfund (ca. 10.750 Euro) verurteilt, weil sie Hanin Hossam und Mawada al-Adham angeblich geholfen haben, Menschenhandel zu betreiben. Laut den Einträgen der polizeilichen Ermittlungsakten in diesem Fall vom 23. April 2020, die von Amnesty International geprüft wurden, wurden in diesem Zusammenhang zehn Verdächtige beschuldigt, "eine kriminelle Gruppe gegründet" zu haben. Darunter waren vier chinesische Führungskräfte der Firma Bigo Limited, die Eigentümerin der "Likee"-Anwendung ist. Das Unternehmen ist weiterhin legal in Ägypten registriert, und die Ermittlungen gegen die Führungskräfte wurden eingestellt. Bei einem Treffen mit dem chinesischen Botschafter in Kairo am 30. August 2020 bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass keine rechtlichen Schritte gegen das Unternehmen und seine Führungskräfte eingeleitet wurden, "da zwischen der persönlichen Verantwortung und der Verantwortung des Unternehmens unterschieden werde". Der chinesische Botschafter brachte seinerseits seinen Respekt für die Sitten und Gebräuche der ägyptischen Gesellschaft zum Ausdruck.

Bitte unterschreiben bis 8. Sept. 2021