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© Screenshot Narges Mohammadi im Online-Gespräch 2021 /NW Frauenrechte

news © Screenshot Narges Mohammadi im Online-Gespräch 2021 /NW Frauenrechte

"Weiße Folter" zerstört Menschen

5. August 2021

Narges Mohammadi im Gespräch

Die iranische Menschenrechtsverteidigerin ist mit ihrem Mut und ihrer Beharrlichkeit ein leuchtendes Vorbild für viele. Obwohl sie jederzeit wieder verhaftet werden kann, setzt sie sich jetzt besonders gegen Einzelhaft, auch „Weiße Folter“ genannt, ein.

Vom Mai 2015 bis zum Oktober 2020 war Narges Mohammadi inhaftiert, sie erkrankte an Covid-19 zusätzlich zu Vorerkrankungen. Die Behörden brachten ihre Gesundheit und ihr Leben in Gefahr, weil sie ihr die Gesundheitsversorgung verweigern und sie unter unmenschlichen Bedingungen in Haft hielten. Die Staatsanwaltschaft in Teheran weigert sich, die Beschwerde von Narges Mohammadi von Ende Dezember 2019 wegen mutmaßlicher Misshandlungen durch den Leiter des Evin-Gefängnisses zu verfolgen. Die persönlichen Opfer, die Narges täglich für ihren friedlichen Aktivismus bringt, sind groß. Narges hat ihre zwei Kinder seit Jahren nicht mehr gesehen. Sie leben im Ausland, um Repressalien zu entkommen. Ein Ausreiseverbot, das über Narges verhängt wurde, verstärkt ihren Schmerz als Mutter.  

„Ich habe immer noch eine Reststrafe von 23 Jahren, dazu kommt noch eine erneute Strafe von sieben Monaten und eine Verurteilung zu Peitschenhieben“, berichtet sie gefasst bei der bewegenden Online-Begegnung mit Amnesty-Aktivist*innen und Exil-Iraner*innen.

Feministin und Todesstrafengegnerin

„Ich bin eine Feministin und glaube an die Menschenrechte und die Zivilgesellschaft. Die Regierung im Iran ist frauenfeindlich. Deshalb ist es besonders schwierig, Frauenrechte durchzusetzen. Wir brauchen NGOs, die unsere Rechte geltend machen. Ich habe in elf NGOs mitgearbeitet, die zwei wichtigsten davon sind das Zentrum für Menschenrechtsverteidiger*innen und die Kampagne Legam gegen die Todesstrafe. Seit meiner Freilassung setze ich mich besonders gegen Folter ein“, beschreibt sie kurz ihren Kampf an vielen Fronten.

Narges war selbst in Einzelhaft und hat viele Insass*innen kennengelernt, die lange isoliert eingesperrt waren: „Einzelhaft gibt es weltweit. Aber im Iran bedeutet sie völlige Isolation. Zudem sind hier die Personen, die zu Einzelhaft verurteilt werden, keine gefährlichen Verbrecher, sondern zivile Aktivist*innen, Studierende und Frauen.“

Besonders in inoffiziellen Hafteinrichtungen der Revolutionsgarden, euphemistisch als „sichere Häuser“ bezeichnet, ist Isolation häufig. Gefangene, die dort landen, sind für Angehörige nicht auffindbar. Es werden absolut keine Standards der Gefangenenversorgung eingehalten.

Die totale Isolation

In der Einzelhaft gebe es keinen Zugang zu Anwält*innen, Inhaftierte dürfen ihre Familie oder andere Insass*innen nicht sehen. Es gibt keine Bücher, kein Telefon, nicht einmal einen Stift zum Schreiben. Ein Mensch in Einzelhaft ist zu absoluter Einsamkeit verurteilt. Oft sehen die Gefangenen nie Tageslicht, sie haben keine Uhr und verlieren jedes Zeitgefühl. Manche erhalten ohne medizinische Notwendigkeit Psychopharmaka, die abhängig machen. Wenn Isolationshaft länger dauert, wird die Person psychisch zerstört. Manchmal werden ihr falsche Informationen gegeben, die sie nicht überprüfen kann. Durch diesen massiven psychischen Druck werden Menschen verwirrt. Sie machen falsche Aussagen oder werden zu Geständnissen gedrängt. Aufgrund solcher Geständnisse werden Inhaftierte zum Tode verurteilt - für Verbrechen, für die es keine Beweise gibt.

Die „weiße Folter“ Einzelhaft hat für Überlebende schwere Folgen. Viele erleiden dauerhafte psychische Schäden – Panikattacken, Schlaflosigkeit, Depressionen - oder sie begehen Selbstmord. Anderen bricht sie den Mut, weiter zu kämpfen aus Angst vor einer neuen Verhaftung. Einzelhaft ist eine besonders perfide Art der Folter, die keine körperlichen Spuren hinterlässt. Sie vernichtet Menschen und bringt sie zum Verstummen.

Narges Mohammadi: „Ich bin im Gefängnis zu dem Ergebnis gekommen, dass ich gegen die Einzelhaft kämpfen muss, um auch die Todesstrafe zu bekämpfen. Ich bitte Amnesty International um Unterstützung dabei.“

Trotz allem Hoffnung

Die Frage, was ihr Kraft und Hoffnung gibt, beantwortet die Menschenrechtsverteidigerin sehr persönlich und offen. Sie habe während der Einzelhaft eine schwere Krise durchgemacht, weil sie ihre Kinder nicht sehen konnte, gesundheitlich sehr gelitten und ihren Beruf verloren hatte. Trost habe ihr dieses Ziel gegeben: „Ich kämpfe für die Menschenrechte und den Frieden. Wenn ich etwas erreiche, dann auch für meine Kinder, für den Iran und die Welt. Wenn ich gewinne, habe ich nichts verloren.“

Ob unsere vielen Briefe und Aktionen überhaupt Wirkung zeigen, lautete eine naheliegende Frage. In der Einzelhaft erfahre man überhaupt nichts, was sich in der Außenwelt tue, sagt Narges. Im regulären Gefängnis hätten ihr ihre Angehörigen von den Briefen und Protesten berichtet. Das habe ihr das Gefühl gegeben, nicht vergessen zu sein, nicht nur als Person, sondern auch ihre Anliegen. Dafür bedanke sie sich und fordert uns auf weiterzumachen.

Das werden wir, motiviert durch ihren Mut und ihre Stärke, gewiss tun.

Narges Mohammadis Buch „Weiße Folter“ enthält Interviews mit 16 Opfern von Einzelhaft und soll demnächst auf Deutsch erscheinen.

heldin des Widerstands im Iran

Am 30. Juli 2021 hatten Amnesty-Aktivist*innen und Interessierte die einmalige Gelegenheit, Narges Mohammadi persönlich in einem Online-Treffen zu begegnen. Mehr als 60 Teilnehmer*innen lauschten gebannt ihren Worten. Wir danken den Organisator*innen - der Koordinationsgruppe Iran von Amnesty Deutschland und dem Aktionsnetzwerk Mediziner*innen von Amnesty International Österreich - für diese einmalige Gelegenheit, Narges Mohammadi zu begegnen.

Seit Juli ist die Menschenrechtsaktivistin Mitglied im Amnesty-Aktionsnetzwerk Mediziner*innen in Wien. Narges’ Mitgliedschaft ist eine große Ehre für Amnesty International Österreich. Der Einsatz und das Engagement für Menschenrechte kann nur über Grenzen hinweg erfolgreich sein. Besonders wichtig ist für das Aktionsnetzwerk Mediziner*innen, ein sichtbares Zeichen zu setzen, dass kein*e Menschenrechtsaktivist*in alleine kämpft. Denn stark sind wir gemeinsam.

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