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Russland: LGBTI-Aktivistin droht mehrjährige Haftstrafe

20. Juni 2022

Der Prozess gegen die Künstlerin und Aktivistin Yulia Tsvetkova aus Russisch-Fernost soll am 12. Juli enden. Kurz nach der letzten Stellungnahme der Aktivistin wird das Urteil veröffentlicht werden. Am 14. Juni beantragte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren unter dem absurden Vorwurf der "Herstellung und Verbreitung von pornografischem Material", weil Yulia Tsvetkova ihre körperpositiven Zeichnungen des weiblichen Körpers im Internet hochgeladen hatte.

 

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© privat

Die russische Frauenrechte- und LGBTI-Aktivistin Yulia Tsvetkova

Sachlage

Yulia Tsvetkova wird fälschlicherweise beschuldigt, gemäß Paragraf 242 (3b) des russischen Strafgesetzbuchs "pornografisches Material hergestellt und verbreitet" zu haben. Es besteht Grund zur Sorge, da das Urteil immer näher rückt und die Staatsanwaltschaft am 14. Juli eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren für die Aktivistin forderte.

Durch ihre Tätigkeit als Künstlerin ist Yulia Tsvetkova über die letzten Jahre wegen ihres Aktivismus für Frauenrechte und die Rechte der LGBTI-Community kontinuierlich ins Visier genommen worden. Seit 2019 wird die Aktivistin aus Komsomolsk am Amur wegen ihrer Zeichnungen des weiblichen Körpers strafrechtlich verfolgt und wurde von der Polizei schikaniert, darunter durch mehrfache Haus- und Arbeitsplatzdurchsuchungen. Bis März 2020 stand sie für fast vier Monate unter Hausarrest und unterliegt seither Reisebeschränkungen.

Yulia Tsvetkova ist in der Vergangenheit auch immer wieder mit Verwaltungsverfahren und Geldstrafen belegt worden, die mit dem homofeindlichen Gesetz über "homosexuelle Propaganda" (Paragraf 6.21 des Gesetzbuches für Ordnungswidrigkeiten) begründet wurden. Außerdem musste sie homofeindliche Drohungen, Misshandlung und Schikane ertragen, die sie und ihre Mutter telefonisch, per Mail und über die Sozialen Medien erhielten.

Für ihren Menschenrechtsaktivismus und die Ausübung des Rechts auf Meinungsfreiheit muss Yulia Tsvetkova Vergeltungsmaßnahmen befürchten. Dies verletzt sowohl das russische Grundgesetz, sowie auch Russlands Verpflichtungen gemäß internationale Menschenrechtsnormen. Yulia Tsvetkova hat keine als Straftat anerkannte Handlung begangen. Dies bestätigten auch einige renommierte russische Rechtsexpert*innen während ihres Prozesses.  

 

Hintergrundinformation

Die Künstlerin und Theaterregisseurin Yulia Tsvetkova wurde am 20. November 2019 willkürlich festgenommen und von der Polizei verhört. Am 22. November wurde sie unter Hausarrest gestellt, weil sie gemäß Paragraf 242 (3b) des russischen Strafgesetzbuchs "pornografisches Material hergestellt und verbreitet" habe. Diese unbegründeten Anklagen beziehen sich auf ihre körperpositiven Zeichnungen des weiblichen Körpers, einschließlich der Genitalien, die sie im Rahmen ihrer Kampagne zur Stärkung der Rolle der Frau in den Sozialen Medien veröffentlichte. Am Tag ihrer Festnahme wurde ihre Wohnung und der Jugendclub, in dem sie früher arbeitete, durchsucht. Die Polizei beschlagnahmte dabei ihre elektronischen Geräte, Dokumente und Broschüren zu Genderfragen. Yulia Tsvetkova erinnert sich daran, dass die Polizeibeamt*innen sie bei der Durchsuchung als eine "Lesbe, Sexualtrainerin und Propagandistin" bezeichneten.

Yulia Tsvetkova ist seit März 2019 das Ziel einer offen homofeindlichen Kampagne. Damals musste sie ihre Arbeit mit der Jugend-Amateurtheatergruppe Merak aufgeben, nachdem die Polizei wegen ihres Anti-Mobbing- und Anti-Diskriminierungs-Stückes "Blau und Rosa" eine Untersuchung wegen angeblicher "Propaganda für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen zwischen Minderjährigen" eingeleitet hatte. Auch die Theatergruppe, die sie 2018 gegründet hatte, war gezwungen, ihre Arbeit einzustellen.

Schon am 11. Dezember 2019 wurde eine Geldstrafe in Höhe von 50.000 Rubel (etwa 730 Euro) gegen sie verhängt, weil sie die Administratorin zweier LGBTI-Online-Communities auf der beliebten russischen Social-Media-Plattform VKontakte ist. In der Begründung heißt es, dies sei "Werbung für nicht-traditionelle sexuelle Beziehungen zwischen Minderjährigen", ein Vergehen nach Paragraf 6.21 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten. Doch beide Online-Communities waren mit "18+" gekennzeichnet – selbst nach der diskriminierenden Gesetzgebung gegenüber LGBTI in Russland stellt dieser Paragraf nur ein Vergehen dar, wenn sich das "Propaganda"-Material an Personen unter 18 Jahre richtet.

Am 17. Januar 2020 informierte Yulia Tsvetkova die Medien darüber, dass gegen sie ein neues Verfahren nach demselben Paragrafen des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten eingeleitet worden sei, diesmal wegen der Social-Media-Veröffentlichung ihrer Zeichnung "Familie ist dort, wo Liebe ist. Unterstützt LGBT+-Familien". Auf der Zeichnung sind zwei gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern zu sehen. Sie hatte die Zeichnung zur Unterstützung eines gleichgeschlechtlichen Paares veröffentlicht, das mit seinen/ihren Adoptivkindern aus Russland fliehen musste, weil die Behörden gedroht hatten, dem Paar die Kinder wegzunehmen. Am 10. Juli 2020 wurde Yulia Tsvetkova schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe von 75.000 Rubel (etwa 1100 Euro) verurteilt.

Im Jahr 2020 wurde das Strafverfahren gegen Yulia Tsvetkova fünfmal zwischen der Ermittlungsbehörde und der Staatsanwaltschaft hin- und hergeschoben. Das Büro der Staatsanwaltschaft in Komsomolsk am Amur erhob schließlich im Januar 2021 Anklage und das Gerichtsverfahren begann, wurde aber im November 2021 auf Februar 2022 verschoben.

Im September 2021 legte Yulia Tsvetkova in einem weiteren juristischen Verfahren erfolgreich Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Behörden ein, ihre Onlinegruppe "Vaginamonologe" zu sperren. In dieser Onlinegruppe hatte sie ihre Zeichnungen veröffentlicht. Im Februar 2022 wurde die Sperrung der Onlinegruppe "Vaginamonologe" vor Gericht überprüft und das Verbot bestätigt. Yulia Tsvetkova legte erneut Rechtsmittel gegen diese Entscheidung ein und die nächste Anhörung soll am 13. Juli stattfinden. Sollte sie den Fall verlieren, könnte sich dies negativ auf die anschließende Strafzumessung nach dem Urteil in ihrem Strafverfahren auswirken, in dem am 12. Juli entschieden werden soll.

Am 12. Mai legte die Staatsanwaltschaft ein neues Rechtsgutachten zum Strafverfahren vor. Es wurde von einem*r Expert*in der Organisation verfasst, die an der Auflösung von Memorial, einer der ältesten und bekanntesten Menschenrechtsorganisationen Russlands, beteiligt war. Der*die Sachverständige erklärte überraschenderweise, dass es sich bei der Kunst von Yulia Tsvetkova nicht um Pornografie handele. Die Staatsanwaltschaft versuchte, ein weiteres Gutachten zu beantragen, was das Gericht jedoch ablehnte. Am 3. Juni behauptete das russische Justizministerium, Julia Tsvetkova sei eine "ausländische Agentin". Dies nutzte die Staatsanwaltschaft, um sie als "Staatsfeindin" darzustellen. Am 14. Juni beantragte die Staatsanwaltschaft eine Haftstrafe von dreieinhalb Jahren für Yulia Tsvetkova.

 

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