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Ein langer steiniger Weg: Gesetzesänderung zu Vergewaltigungen in Dänemark

20. Jänner 2021

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen übersetzt.

Den originalen Beitrag vom 17.12.2020 findet ihr HIER.

 

Autorin: Helle Jacobsen

Als Menschenrechtsaktivist*in gibt es Momente, in denen man spürt, dass die Dinge sich ändern. Einer dieser Momente war im letzten Jahr auf dem Treffen mit Dänemarks Justizminister Søren Pape Poulsen. 

Ich war gekommen, um mit ihm über unsere Amnesty-Kampagne “Let’s talk about yes” zu diskutieren. Ich forderte von der Regierung, Dänemarks antiquierte Gesetze über Vergewaltigungen abzuändern. Diese Gesetze hielten tausende junger Frauen davon ab, Zugang zur Justiz zu bekommen - Frauen wie die beiden Aktivist*innen, die mit mir auf dem Treffen waren und die selbst Überlebende sexueller Gewalt sind. Ich erinnere mich gut daran, wie ich das Gesicht des Ministers beobachtete, als eine von ihnen in kleinstem Detail berichtete, wie sie vor jeder Instanz der dänischen Justiz scheiterte, nachdem sie 2018 von einem Freund vergewaltigt wurde.

Der Minister hörte schweigend zu. Ich erinnere mich an sein Gesicht. Er war sichtlich bewegt. Als er zu sprechen begann, zitterte seine Stimme. Er gab zu, dass es falsch war zu behaupten, die vorgeschlagene Gesetzesänderung sei nicht sinnvoll.

Bisher hat das dänische Gesetz Vergewaltigung nicht auf der Basis von fehlendem Einverständnis definiert. Stattdessen wurde eine Definition auf der Basis von physischer Gewalt, Bedrohung oder Nötigung verwendet. Es war entscheidend, ob es dem Opfer “nicht möglich war, sich zu wehren”. Die Annahme, dass ein Opfer einverstanden sei, nur weil es sich nicht physisch wehrt, ist falsch. “Unfreiwillige Lähmung” oder “Einfrieren” wurde auch von Expert*innen als eine normale physiologische und psychologische Reaktion auf sexuelle Nötigung anerkannt. Die genaue Definition von Vergewaltigung im Gesetz ist ein wichtiger Faktor für Überlebende sexueller Gewalt, um Zugang zur Justiz zu erhalten. 

Nach diesem Treffen hat der Justizminister begonnen, das Ändern des Gesetzes über Vergewaltigungen öffentlich zu unterstützen. Indem er sich öffentlich dazu bekannte, seine Meinung geändert zu haben, gab er auch anderen die Möglichkeit, ebenfalls ihre Meinungen zu ändern. Heute haben die dänischen Parlamentarier mit einer großen Mehrheit für die Änderung des Gesetzes über Vergewaltigungen gestimmt.

Dieser große Moment ist nicht einfach durch Zufall entstanden. Er ist das Resultat von jahrelangen Kampagnen organisiert von Gruppierungen von Überlebenden. Amnesty International ist stolz darauf, Teil einer großen Koalition von Frauenrechtsbewegungen zu sein. Bewegungen wie Black Lives Matter Denmark, Überlebende sexueller Gewalt und Jugendaktivist*innen, die sich zusammengeschlossen haben, um das Gesetz zu ändern. Unter dem Mantel der #LetsTalkAboutYes - Kampagne haben sich tausende Menschen an Demonstrationen in ganz Dänemark angeschlossen. Teilnehmende der Kampagne haben sich unzählige Male mit Parlamentarier*innen und Regierungsmitarbeitenden getroffen.

Der Sieg ist auch das Ergebnis der kontinuierlichen Arbeit des dänischen Parlaments, insbesondere der rot-grünen Koalition, die während der letzten Jahre verschiedene Vorschläge zur Änderung des Vergewaltigungsgesetzes vorbrachte. Die Vorschläge wurden wieder und wieder abgelehnt - aber sie gaben nicht auf.

Der Bericht von Amnesty International 2019 über den Zugang zur Justiz für Überlebende von Vergewaltigungen deckte die Weite auf, mit der Frauen und Mädchen durch das veraltete Vergewaltigungsgesetz betrogen werden. Es wurde dokumentiert, dass Straffreiheit und gefährliche Genderstereotypen dem legislativen Prozess in jedem Stadium im Wege standen. Der Bericht bekam viel Aufmerksamkeit und wir mussten uns den starken konservativen Kräften der Gesellschaft stellen, die der Gesetzesänderung im Wege standen. Aber der Bericht hatte auch noch einen weiteren Einfluss - zahlreiche Frauen traten hervor, um von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Rechtssystem zu erzählen. Sie beschrieben die Hürden, die sie davon abhielten, Zugang zur Justiz zu erhalten. Oder berichteten, warum sie das Gefühl hatten, nicht über ihre Vergewaltigungen sprechen zu können. Die Frauen gaben auch einen Einblick in die immer noch existierenden geschlechtsspezifischen Klischees und die veralteten Rollenbilder für Frauen und Männer, die in Dänemark noch immer Realität sind. Es wurde immer schwieriger für Politiker*innen, die nicht nur Augen und Ohren, sondern auch ein Herz haben, den Status quo zu verteidigen. 

Am 17. Dezember 2020 stimmten die dänischen Parlamentarier*innen dafür, die Definition von Vergewaltigung abzuändern. Statt einer Definition auf der Basis von Gewaltanwendung, ist Vergewaltigung nun als Geschlechtsverkehr ohne Zustimmung definiert. Damit passt sich das dänische Gesetz nun auch den internationalen Standards für Menschenrechte an, wie unter anderem der Istanbul Konvention.

“Dem Gesetz fehlen klare Erläuterungen, dass Passivität allein nicht als Zustimmung gewertet werden kann. Aber abgesehen von dieser Schwäche, ist es trotz allem ein großer Fortschritt für Dänemark.”

“Es war ein wichtiger und historischer Kampf. Auch wenn es für viele von uns, die ihre eigenen Fälle als Beispiele für die Gesetzesänderung nutzten, nicht ohne Konsequenzen geblieben ist. ” erzählte mir Kristine Holst, eine der Aktivist*innen. “Der Widerstand war wie erwartet groß und er kam von vielen verschiedenen Seiten. In meinem eigenen Fall war es sowohl die Person selbst, die ich bei der Polizei anzeigte, als auch Mitglieder der Organisation der Richter*innen, die mich in der Öffentlichkeit attackierten. Ich bin sehr glücklich darüber, dass das Gesetz nun geändert wurde. Auch wenn der Kampf noch lange nicht vorüber ist.”



Das ist ein Meilenstein für Frauenrechte. Heute werden wir einfach nur feiern, aber morgen werden wir wieder zurück an die Arbeit gehen. Das Gesetz ist nur der erste wichtige Schritt. Die nächste Aufgabe wird es sein, die Kultur der dänischen Gesellschaft und des Rechtssystems zu verändern. Nur so werden wir eine Situation erreichen können, in der Geschichten – wie jene, die dem Justizminister so mutig vorgetragen wurde – immer weniger werden.

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Helle Jacobsen ist die leitende politische Beraterin und Wissenschaftlerin zum Thema Gender für Amnesty International Dänemark.

Der Artikel wurde zuerst in Newsweek veröffentlicht.