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Auf Spurensuche im Dickicht Menschenrechtlicher Verletzungen

7. Dezember 2019

Am 28.11.2019 wurde das diesjährige this human world – International Human Rights Filmfestival in Wien eröffnet, welches sich bereits in der 12. Auflage dem Thema Menschenrechte verschrieben hat und über die Dauer von 13 Tagen vom 28.11. bis inklusive 10.12. verschiedenste Filme screent. Aus über 1000 Einsendungen hat das this human world-Team um die Festivalleitung von Lara Bellon und Michael Schmied ein vielfältiges Programm an knapp 100 Filmen – umrahmt von Masterclasses, Konzerten und Diskussionen – ausgewählt.

Eröffnet wurde this human world mit dem Dokumentarfilm “Born in Evin”: Mit ihrem Debüt als Filmemacherin geht Maryam Zaree auf Spurensuche in ihre Vergangenheit. Dabei geht es ihr nicht nur um ihre eigene Geschichte. Vielmehr geht es ihr auch um das Erleben und die Erzählungen anderer Kinder, die in Evin lebten und die die schlimmen Erfahrungen ihrer Eltern (bzw. auch ihre eigenen) in zweiter Generation auf die ein oder andere Art weitertragen.

Maryam Zarees Eltern wurden in den 80er Jahren – der Zeit der Iranischen Revolution – als politische Gefangene in Evin inhaftiert. Zarees Mutter Nargess – mittlerweile promovierte Psychologin und Politikerin in Frankfurt am Main – war zu dieser Zeit bereits mit ihrer Tochter Maryam schwanger; im Jahr 1985 flüchtete Nargess gemeinsam mit ihrer zweijährigen Tochter nach Deutschland, um sich dort ein neues Leben aufzubauen. Mit 12 Jahren erfuhr Maryam Zaree mehr oder minder zufällig, dass sie nicht in irgendeinem Krankenhaus, sondern in Evin – einem Gefängnis für politische Gefangene geboren wurde.

In ihrem Film thematisiert Zaree auch das Aufbrechen vergangener traumatischer Erlebnisse, die im Unterbewusstsein vergraben scheinen: Sie berichtet von einer Busreise in Marokko, bei der die Musik, die im Bus zu hören war, eine Panikattacke in ihr auslöste. Durch Gespräche mit ihrem Vater erfährt sie später, dass das Spielen von u.a. Koransuren in Endlosschleife eine gängige Foltermethode in Evin gewesen sein soll. Bei der Musik im Bus dürfte es sich um eben solche Koransuren oder etwas in der Art gehandelt haben.

Passend zu den Verdrängungsmechanismen steht eine Szene des Films, in der man ein Foto von Zaree als jungem Mädchen sieht, das wohl kurz nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis entstanden ist, vielleicht sogar bereits nach ihrer Ankunft in Deutschland gemacht wurde. Hier wirft Zaree die Frage auf, welches Wissen/welche Erlebnisse dieses Kind wohl in seinem Kopf habe, das/die der erwachsenen Zaree längst nicht mehr bewusst zugänglich seien.

Viele Fragen nach der Zeit in Evin bleiben in den Gesprächen mit Zarees Mutter und Vater unbeantwortet. Sehr berührend ist dabei jedoch auch eine Bemerkung ihrer Mutter, die erklärt, dass sie den Erlebnissen in Evin in ihrem neuen Leben in Deutschland keinen weiteren Platz mehr einräumen wollte. Stattdessen versuchte sie, ihrer Tochter und sich ein gutes Leben aufzubauen, den notwendigen Raum zu schaffen, um positive und schöne Erlebnisse zu ermöglichen.

Die Erzählung von Born in Evin geht mit Zarees Suche nach anderen Kindern aus Evin (und soweit möglich dem Austausch mit ihnen) weit über ihre ganz persönliche Geschichte hinaus. Zaree nimmt die Zuseher*innen sogar mit in Archiv-Mitschnitte des Iran-Tribunals in Den Haag im Jahr 2012. Zu sehen und zu hören ist dort Chowra Makaremi, eine Anthropologin und Forscherin am CNRS (*1) IRIS (EHESS) in Paris, deren Tante 1982 und deren Mutter im Zuge des Gefängnismassaker im Sommer 1988 von der Islamischen Republik Iran ermordet wurden [Siehe auch CBC Radio 2019]. Makaremis Großvater hatte niedergeschrieben, was seinen Töchtern zugestoßen war (u.a. auch welchen Foltermethoden sie ausgesetzt waren) – Chowra Makaremi hat die Aufzeichnungen ihres Großvaters publiziert und schildert Auszüge seiner Notizen.

Im Anschluss an das Filmscreening fand vor dem Hintergrund der aktuell menschenrechtlich prekären Situation im Iran (*2) eine Q&A-Session mit der Regisseurin Maryam Zaree und einem der Produzent*innen Arash T. Riahi statt.

Beide sind im Iran geboren und im Kindesalter in den 80er Jahren nach Deutschland bzw. Österreich gekommen.

Die Diskussion dreht sich um das Leben und Erleben in (iranischen) Gefängnissen, um das Verschwinden und Foltern von Menschen, die langjährige Inhaftierung von Menschen, die gegen den Kopftuchzwang protestieren sowie darum, was jeder/jede einzelne tun kann, um auf diese Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen und um in weitere Folge somit eventuell auch Maßnahmen auf politischer Ebene anzustoßen oder zu forcieren.

Hinsichtlich des Filmes und ihrer Spurensuche resümiert Regisseurin Zaree, dass man manches Schweigen auch leicht fehlinterpretieren kann, da viele Dinge non-verbal und oft auch unbewusst kommuniziert werden würden. Weiters gibt sie auch zu bedenken, dass Menschen ob traumatischer Erlebnisse auch eben das Recht haben dürfen, nicht darüber sprechen zu müssen. Es sei eine Verantwortung aller, Menschen dieses Recht zuzugestehen.

Die Frage, ob in den Gesprächen das Thema sexuelle Gewalt gegenüber Inhaftierten bewusst ausgespart worden wäre, verneint Zaree. Riahi gibt dazu den Denkanstoß, dass im Film interviewte Frauen an manchen Stellen aufhören zu erzählen, dass ihm das zu denken gegeben habe und dass es auch eine Frage des Erkenntnisgewinns sei und der eigenen Sensibilität, wie wichtig es wäre, auf diesen Punkt genauer einzugehen und konkret nachzufragen. Zaree fügt hinzu, dass im Film durchaus auch eine Auseinandersetzung mit gender-basierter Gewalt stattfinde und es ihr vor allem auch darum gegangen sei bei Gesprächen wirklich zuzuhören, die Gesprächspartner*innen ihre Geschichte erzählen zu lassen, ohne diese in eine konkrete Richtung zu drängen.

Zaree empfiehlt in Hinblick auf das Thema sexueller Gewalt gegenüber weiblichen Inhaftierten im Iran das Buch “Crime and Impunity. Sexual Torture of Women in Islamic Republic Prisons”, das sich u.a. dem Thema Mutterschaft in iranischen Gefängnissen in einem eigenen Kapitel widme.

An die 4 – 5 Jahre arbeitete Zaree an der künstlerischen Aufarbeitung dieser/ihrer Geschichte. Entstanden ist in diesem Kontext auch das Theaterstück „Kluge Gefühle“, das sich ebenso mit einer Art Sprachlosigkeit auseinandersetzt, die durch traumatische Erlebnisse bedingt ist und die sich in weiterer Folge auf das soziale Leben, auf das Verhalten und Erleben und die eigene Persönlichkeit auswirkt. Weiters wirkt Zaree auch in dem Theaterstück „Denial“ von Yael Ronen mit, das sich ebenso der Thematik der Verdrängung verschrieben hat.

Born in Evin ist ein Film, der zum Nachdenken anregt, manche Fragen beantwortet, manche Fragen unbeantwortet lässt und auch manch neue Fragen aufwirft.

Er versteht es dennoch, Einblicke in traumatische Erlebnisse zu vermitteln, wie sich diese unbewusst manifestieren können und wie sie wohl auch nachfolgende Generationen beeinflussen können. In jedem Fall appelliert Born in Evin aber auch an jeden/jede einzelne von uns, gegen das Verdrängen und das Vergessen anzukämpfen und nicht wegzusehen; sich nicht mit dem Gedanken zu begnügen, dass vergangene traumatische Erlebnisse hinter einem liegen und keiner weiteren Aufarbeitung mehr bedürfen, sobald man in einer sicheren Umgebung angekommen wäre. Positive und negative Dinge können gemeinsam koexistieren.

 

1: CNRS: Nationales Zentrum für wissenschaftliche Forschung

2: Man denke hierbei beispielsweise an die Verurteilung und Inhaftierung von u.a. der Menschenrechtsanwältin und Frauenrechtlerin Nasrin Sotoudeh, die Reaktionen auf die White Wednesdays-Bewegung oder das gewalttägige/brutale Vorgehen des iranischen Regimes gegen die derzeitigen Demonstrationen, das lt. jüngstem Bericht von Amnesty International vom 2.12.2019 bereits mindestens 208 Todesopfer forderte.

 

 

Autorin: Nadja Lederer, Netzwerk Frauenrechte

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