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© Eine bemalte Wand in PIKPA / Lesvos Solidarity

news © Eine bemalte Wand in PIKPA / Lesvos Solidarity

Flüchtlingsunterkunft PIKPA geschlossen

31. Oktober 2020

Am Freitag, 30. Oktober 2020, haben Polizeikräfte die offene Unterkunft für Geflüchtete PIKPA auf der griechischen Insel Lesbos, Griechenland, geräumt. PIKPA war ein sicherer Ort, der seit 2012 Tausende besonders gefährdete Geflüchtete beherbergte. Dazu zählen zum Beispiel Menschen mit Behinderungen, Ältere, Kranke und Kinder ohne Begleitung. Zuletzt lebten rund 100 besonders schutzbedürftige Geflüchtete und Asylsuchende in PIKPA, darunter 21 unbegleitete Minderjährige. 

Die Räumung wurde ohne vorherige Benachrichtigung durchgeführt, am selben Tag, an dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte über die Anträge auf einstweilige Maßnahmen in den Fällen von zwei gefährdeten Geflüchteten urteilen sollte, die um die Aussetzung ihrer Abschiebung gebeten hatten.

PIKPA wurde geschlossen, obwohl die offene, selbstorganisierte Unterkunft in all den Jahren seiner Tätigkeit seinen Bewohner*innen menschenwürdige Lebensbedingungen geboten hat, im krassen Gegensatz zu den vom Staat betriebenen Aufnahmeeinrichtungen.

Amnesty und 27 weitere Organisationen fordern die griechischen Behörden gemeinsam auf, die in PIKPA untergebrachten Menschen zu respektieren und ihnen im Einklang mit dem EU-Recht menschenwürdige Aufnahmebedingungen zu gewähren und den Schutz der Schwächsten unter ihnen sicherzustellen. Die griechischen Behörden müssen von der Schaffung eines geschlossenen Aufnahmezentrums Abstand nehmen, das für besonders gefährdete Menschen noch mehr Leid bedeuten würde.

Danke an die Unterzeichner*innen der Petition, die sich für den Erhalt von PIKPA eingesetzt haben. Danke an die Mitarbeiter*innen, Bewohner*innen und Freiwilligen von PIKPA. Wir stehen weiterhin Seite an Seite mit euch.

Information zur Urgent Action (geschlossen):

Die offene und selbstorganisierte Unterkunft für Geflüchtete PIKPA auf der Insel Lesbos ist in Gefahr, auf Anordnung der griechischen Behörden geschlossen werden. Die Schließung hätte bereits am 15. Oktober stattfinden sollen. Aufgrund des hohen internationalen Drucks wurde diese zwar verschoben, dennoch droht den Menschen, die derzeit in PIKPA leben, nach wie vor eine Räumung!

Seit der Gründung 2012 beherbergten und unterstützten die Mitarbeiter*innen von PIKPA tausende besonders gefährdete Asylsuchende und Flüchtlinge. Die griechischen Behörden müssen die Entscheidung, PIKPA zu schließen, umgehend rückgängig machen und die Trägerorganisation Lesvos Solidarity ungehindert weiterarbeiten lassen. Sie müssen die rund 100 Bewohner*innen schützen sowie offene und sichere Orte für Flüchtlinge und Asylsuchende in Griechenland sicherstellen und fördern.

Die Mitarbeiter*innen und Freiwilligen von PIKPA haben seit 2012 Tausende besonders gefährdete Flüchtlinge und Asylsuchende unterstützt. Sie haben ihnen eine sichere Unterkunft bereitgestellt und PIKPA bot eine Alternative zum überfüllten Flüchtlingscamp Moria, wo Flüchtlinge und Asylsuchende in unmenschlichen Bedingungen lebten.

Nach den verheerenden Bränden im Flüchtlingslager Moria wurden die dortigen Bewohner*innen in ein provisorisches Camp verlegt, das kürzlich auf Lesbos eingerichtet wurde. Dieses Lager ist jedoch nur eine vorübergehende Lösung, weil es weder angemessene Lebensbedingungen für alle Bewohner*innen noch die nötigen Sicherheitsmaßnahmen für besonders gefährdete Menschen bietet.

PIKPA beherbergt zurzeit rund 100 besonders schutzbedürftige Flüchtlinge und Asylsuchende, darunter 21 unbegleitete Minderjährige. Falls die Unterkunft geschlossen wird, ist unklar, was mit ihnen geschieht. Würde man sie in das provisorische Camp in Lesbos bringen, wären sie diversen Risiken ausgesetzt.

Flüchtlinge und Asylsuchende leben auf Lesbos und anderen Inseln unter katastrophalen Bedingungen, weswegen die Unterstützung durch NGOs äußerst wichtig ist. Statt NGOs an ihrer Arbeit zu hindern, sollte die griechische Regierung ihren Einsatz unterstützen und so offene, sichere Räume für Flüchtlinge und Asylsuchende in Griechenland schützen und fördern.

Hintergrund. Seit 2012 hat die offene und selbstorganisierte Flüchtlingsunterkunft PIKPA, geführt von der NGO Lesvos Solidarity, insgesamt mehr als 30.000 Flüchtlingen und Asylsuchenden auf der Insel Lesbos Unterkunft sowie andere Dienstleistungen zur Verfügung gestellt. Das Angebot von PIKPA richtet sich insbesondere an stark gefährdete Geflüchtete wie Familien, Menschen, die gefoltert worden waren, oder LGBTIQ-Personen. Die von PIKPA geleisteten Bemühungen und der wichtige Beitrag der Einrichtung wurden von vielen Seiten anerkannt - zum Beispiel vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR), das eine der Gründerinnen von PIKPA im Jahr 2016 mit dem Nansen-Flüchtlingspreis auszeichnete. Amnesty International arbeitet schon lange mit PIKPA und Lesvos Solidarity zusammen. 2018 traf sich Kumi Naidoo, ehemaliger Generalsekretär von Amnesty International, mit verschiedenen Vertreter*innen von NGOs, die in Lesbos ansässig sind, darunter auch Lesvos Solidarity. Als Teil seines Einsatzes in Griechenland besuchte er die Flüchtlingsunterkunft PIKPA.

PIKPA und andere Einrichtungen, wie das von der Gemeinde Lesbos geführte Camp Kara Tepe, bilden einen Kontrast zum "Modell Moria" und symbolisieren einen alternativen Ansatz für die Aufnahme von Flüchtlingen und Asylsuchenden: Sie zählen auf Gemeinschaftssinn und Solidarität und bieten ihren Bewohner_innen sichere, menschliche Bedingungen. Wie PIKPA steht auch Kara Tepe vor der Schließung (siehe: https://www.lesvossolidarity.org/en/blog/news/save-dignity-save-pikpa-a…).

Im Verlauf der letzten Jahre wurde PIKPA schon mehrfach die Schließung angedroht, so auch 2018. Die Mitarbeiter*innen von PIKPA und Lesvos Solidarity wurden wiederholt von örtlichen Gruppierungen oder Einzelpersonen angegriffen. Weitere Informationen dazu finden sich im Bericht von Amnesty International unter https://www.amnesty.org/en/documents/eur01/2077/2020/en/

Die Ankündigung, dass PIKPA und Kara Tepe vor einer unmittelbaren Schließung stehen, kommt zu einer Zeit, in der NGOs, die sich in Griechenland für Migrations- und Asylbelange einsetzen, zunehmend verunglimpft werden. Ein englischsprachiger Bericht von Amnesty International vom März 2020 belegt diese Entwicklung (https://www.amnesty.org/en/documents/eur01/1828/2020/en/). Der Fall von Sarah Mardini und Sean Binder beweist, dass die Regierung versucht, Menschenrechtsverteidiger*innen, die Flüchtlinge und Migrant*innen unterstützen, strafrechtlich zu verfolgen. Im April 2020 führte die Regierung zudem neue, härtere Vorschriften für die Arbeitsweise und die Registrierung von NGOs ein, die sowohl die Versammlungsfreiheit als auch die Handlungsfähigkeit der Organisationen stark einschränken (siehe: https://www.amnesty.org/en/documents/eur25/2821/2020/en/). Die Behörden äußern sich mittlerweile offen feindselig gegen NGOs. So verglich der stellvertretende Migrations- und Asylminister Giorgos Koumoutsakos die Mitarbeiter*innen von NGOs mit "Blutegeln" (siehe: https://www.amnesty.org/en/documents/eur25/2821/2020/en/).

Griechenland ist eines der Hauptaufnahmeländer für Flüchtlinge und Asylsuchende in Europa. Die EU hat in Griechenland ihr "Hotspot-Konzept" erprobt und große Aufnahme- und Identifikationszentren (Reception and Identification Centres, RIC) auf den fünf ägäischen Inseln eingerichtet. Seit der "Flüchtlingskrise" 2015 und nach dem EU-Türkei-Abkommen von 2016, welches dazu führte, dass Menschen, die auf den griechischen Inseln ankamen, dort festgehalten wurden, sind diese Zentren - insbesondere das Lager Moria in Lesbos - dauerhaft überbelegt und bieten äußerst schlechte Lebensbedingungen. Als Resultat dieser EU-Politik leben heute über 22.000 Menschen unter miserablen Bedingungen in den RICs, die eigentlich nur für rund 6.000 Menschen ausgelegt sind.

Ab dem 8. September 2020 zerstörten mehrere Brände das Lager Moria, wodurch die beinahe 13.000 Bewohner_innen obdachlos wurden. Seit Mitte September werden die Bewohner_innen in ein eilig eingerichtetes, provisorisches RIC in der Gegend von Kara Tepe gebracht. Unbegleitete Minderjährige, die zuvor in Moria gelebt hatten, wurden auf das griechische Festland verlegt. Die Lebensbedingungen im neuen provisorischen Lager sind unterdurchschnittlich und es gibt keine angemessenen Schutzmaßnahmen für besonders gefährdete Menschen.

Der griechische Migrations- und Asylminister ist die zentrale Autorität für alle Aspekte der Migrations- und Asylpolitik, darunter auch die Aufnahme- und Identifikationszentren sowie die Beziehungen mit NGOs und Dritten, die in diesen Feldern agieren. Seit Ende 2019 wirbt der Minister für die Zentralisierung des Aufnahmesystems in Griechenland, unter anderem durch die Einführung von geschlossenen und überwachten Zentren und durch die schrittweise Schließung von alternativen Unterkunftsstrukturen, wie z.B. die Unterbringung in Hotels auf dem griechischen Festland. Das provisorische RIC in Lesbos kann als erstes Beispiel der Umsetzung dieses Modells gesehen werden. Es werden bereits weitere Zentren auf anderen ägäischen Inseln eingerichtet, die die offenen Flüchtlingsunterkünfte langfristig ersetzen sollen.

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