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„Sicherheitspaket“: Bittere Pille mit massiven Nebenwirkungen

27. März 2018

Amnesty International hat die geplanten Gesetzesänderungen im Detail geprüft

Vom Staatstrojaner über die Aufweichung des Briefgeheimnisses bis hin zur Massenüberwachung von Fahrzeugen: Das neue „Sicherheitspaket“ der Regierung ist eine bittere Pille, die fatale und teilweise unabsehbare Nebenwirkungen auf die Sicherheit und Privatsphäre von jedem einzelnen in Österreich hat. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International in einer Stellungnahme zum geplanten Gesetzesentwurf, dessen Begutachtungsfrist morgen endet.

Wenn der Staat in unsere Grundrechte eingreift, dann muss gleichzeitig der bestmögliche Schutz sichergestellt werden. Doch das ist beim geplanten ,Sicherheitspaket‘ paradoxerweise nicht der Fall.

Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International Österreich

„Mit dem Argument der Kriminalitätsbekämpfung bekommen die Behörden mächtige Mittel in die Hände, die sie selbst nicht kontrollieren können. Damit widerspricht sich die Regierung selbst: Die geplanten Maßnahmen machen uns nicht sicherer, im Gegenteil. Mit einem Staatstrojaner öffnen sie jenen Tür und Tor, vor denen der Staat uns eigentlich schützen muss“, sagt Schlack.

„Staatstrojaner“ – Gefahr für Sicherheit aller

Hauptkritikpunkt ist die geplante Änderung in der Strafprozessordnung, mit dem der Einsatz eines sogenannten Staatstrojaners ermöglicht wird: Um verschlüsselte Nachrichten zu überwachen, sollen Behörden künftig Spionagesoftware – auch Trojaner genannt – einsetzen können. Dies zwar nur dann, wenn der Verdacht besteht, dass eine Person eine Straftat begangen hat, die mit über fünf Jahren bestraft wird, und auf richterlichen Beschluss.

Das Problem ist jedoch die Ermittlungsmaßnahme selbst: Ein Trojaner ist eine Spionagesoftware, die Sicherheitslücken in IT-Systemen ausgenutzt. Das heißt: Um so eine Software einsetzen zu können, muss der Staat Sicherheitslücken bewusst offen lassen – und diese können wiederum von Kriminellen für ihre Zwecke missbraucht werden.

Der digitale Bereich ist extrem dynamisch und verändert sich ständig. Umso wichtiger ist es, dass die Behörden fit genug aufgestellt sind, um taugliche Instrumente anzuwenden – aber nur auf eine Art und Weise, die unsere Grundrechte und Sicherheit nicht gefährden. Solange das nicht möglich ist, dürfen diese Maßnahmen nicht in Kraft treten. Deshalb fordern wir von der Regierung, das geplante Gesetz zu überarbeiten.

Annemarie Schlack

„Sicherheitspaket“ schafft nicht mehr Sicherheit

Laut aktueller Statistik des Innenministeriums sinkt die Kriminalität, während Cybercrime-Attacken ansteigen. Die Antwort der Regierung auf diese Herausforderung ist jedoch die falsche, sagt Schlack: „Anstatt uns und unsere Daten zu schützen, gefährdet der Staat fahrlässig die Privatsphäre und Sicherheit aller.“ Damit widerspricht die Regierung nicht nur der „Österreichischen Strategie für Cyber-Sicherheit“ (Download des Dokuments), in der es heißt: „Proaktive Cyber Sicherheitspolitik heißt darauf hinzuwirken, dass Bedrohungen des Cyber Raums und der Menschen im Cyber Raum erst gar nicht entstehen [...].“

Der Staat erfüllt damit auch nicht seine menschenrechtliche Verpflichtung, die Bevölkerung vor Angriffen zu schützen und erhöht das Sicherheitsrisiko für jeden einzelnen.

Ein Beispiel dafür, welch fatale Konsequenzen Sicherheitslücken haben können, ist der Trojaner „WannaCry“: Die Schadsoftware nutzte 2017 geheime Sicherheitslücken aus, die der US-amerikanische Geheimdienst NSA bewusst offengelassen hatte. Er befiel weltweit Computersysteme und legte wichtige IT-Systeme lahm – darunter auch jene in Krankenhäusern.

Briefgeheimnis – gelindere Mittel ausreichend

Auch an den geplanten Änderungen für das Briefgeheimnis übt Amnesty Kritik. Bisher galt: Der Staat durfte nur Briefe beschlagnahmen, wenn sich eine Person in Haft befindet oder die Festnahme angeordnet wurde. Künftig sollen die Behörden auf Verdacht Briefe öffnen können – und das, obwohl es andere Ermittlungsmethoden (Spürhunde, Durchleuchtungen z. B.) gibt, die nicht willkürlich in unsere Privatsphäre eingreifen. „Wenn es darum geht, dem Versand von Drogen, Waffen oder Falschgeld, entgegenzuwirken, dann stehen den Behörden bereits effektive Mittel zur Verfügung, die weniger gravierend in unsere Grundrechte eingreifen“, sagt Schlack.

Unverhältnismäßig: Ausbau der Video- und KFZ-Überwachung

Massive Bedenken gibt es auch bei den Änderungen im Sicherheitspolizeigesetz: Die Maßnahmen zur „Verarbeitung von umfangreichen KFZ-Daten“ ist eine Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür, kritisiert Schlack: „Das hätte eine Vollüberwachung von Autobahnen zur Folge und wäre ohne begründeten Verdacht möglich. Das ist völlig unverhältnismäßig.“

Künftig soll die Polizei auch auf die Kameras von privaten oder öffentlichen Einrichtungen zugreifen können. Allein die „Vorbeugung wahrscheinlicher Angriffe“ reicht laut Gesetzesentwurf dafür aus – eine Formulierung, die leicht missbraucht werden kann. Auch die Dauer der Speicherung von Daten wurde ohne Begründung von zwei auf vier Wochen ausgedehnt und ist nicht nachvollziehbar.

Amnesty erkennt an, dass Eingriffe in unsere Grundrechte nötig sind, um für Sicherheit zu sorgen und Kriminalität zu bekämpfen – doch diese Eingriffe müssen immer das gelindeste Mittel und verhältnismäßig sein. „Wenn der Staat beginnt, Maßnahmen wie den Staatstrojaner einzusetzen, dann müssen wir uns fragen: Wo hört das auf? Statt tatsächlich für Sicherheit zu sorgen, nimmt die Regierung Grundrechtsverletzungen in Kauf, um das subjektive Sicherheitsgefühl der Österreicher*innen zu befriedigen. Das ist inakzeptabel.“

Hintergrund

Nach zwei gescheiterten Anläufen ist der aktuelle Gesetzesentwurf nun bereits der dritte Versuch, den staatlichen Behörden zusätzliche und umfassende Befugnisse – insbesondere durch Zugriffsmöglichkeiten auf digitale Kommunikation und auf Überwachungskameras im öffentlichen Raum – einzuräumen.

Die vorangegangen zwei Versuche sind vor allem an fundierten menschenrechtlichen Einwänden, am massiven Widerstand durch die Zivilgesellschaft und an Expert*innenmeinungen gescheitert.

Zwar wurden im neuen Gesetzesentwurf – anders als in den Vorschlägen zuvor – einige grundlegende menschenrechtliche Schutzstandards berücksichtigt wurden. Doch der Kern des Problems bleibt bestehen: Die Maßnahmen sind ein unverhältnismäßiger Eingriff in unsere Grundrechte.

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